Geophysikerin Benita Wagner wollte Abenteuer an einem spektakulären Ort erleben und erfüllte sich diesen Traum

Benita Wagner überwintert in der Antarktis, dem mit einem bis zu 5.000 Metern mächtigen Eispanzer bedeckten und vom Meer umgebenen Kontinent voller Extreme
„Jedes Mal, wenn ich die schützende Station verlasse und auf das ca. 200 m dicke Schelfeis trete, fühlt es sich wie ein kleines Abenteuer, ein Nervenkitzel an. Das ist bei schönem Wetter natürlich nicht so ausgeprägt wie bei 50 Knoten Windgeschwindigkeit und White Out, wie wir es im Winter hier häufig erleben. Bei solchen Bedingungen ist schon der Arbeitsweg zum magnetischen Observatorium 1,5 km entfernt von der Station, den man dann entlang einer Handleine zurücklegt, eine gewisse Herausforderung“, schildert Benita Wagner ihre Gefühle und die extremen Verhältnisse an ihrem bitterkalten Arbeitsort.
Die Geophysikerin ist Mitglied eines 9-köpfigen Teams, das derzeit für 9 Monate auf der Neumayer-Station III, eine deutsche Polarforschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts (Helmholtz-Gemeinschaft), in der Antarktis überwintert. Die Überwinterung stellt sicher, dass ganzjährig wissenschaftliche Daten zu meteorologischen, luftchemischen und geophysikalischen Vorgängen aufgezeichnet und ausgewertet werden können, um Aufschluss über langfristige Veränderungen wie die Bewegung der magnetischen Pole, den Temperaturverlauf oder den CO₂-Gehalt der Luft zu erhalten.

Links: Konfiguration einer Magnetotellurik Station, im Hintergrund die Station; rechts: bei der monatlichen Kreiselmessung im magnetischen Observatorium
Gemeinsam mit einer Kollegin ist Benita für den Betrieb des geophysikalischen Observatoriums zuständig. Im Umfeld von Neumayer III generieren kontinuierlich mehrere, teils unterirdische Messstationen Daten zu seismologischen und magnetischen Vorgängen im Erdinneren. Zu den Routineaufgaben der beiden Geophysikerinnen gehört es, mithilfe verschiedener Messverfahren sicherzustellen, dass die Datenakquisition, der Datentransfer und die Steuerung dieser Prozesse möglichst unterbrechungsfrei laufen. „Beispielsweise untersuchen wir die von den Seismometern registrierten ankommenden seismischen Wellen nach Erdbeben, von denen dann die Ersteinsätze bestimmt werden, um sie anschließend zu lokalisieren und in ein globales Netzwerk zu speisen. Wie lange diese Untersuchung dauert, hängt davon ab, wie oft und wie stark es an dem entsprechenden Tag gebebt hat. Manchmal hat man Glück und ist in 2-3 Stunden fertig, manchmal dauert es auch deutlich länger.“ Ansonsten gehört zur 7-täglichen Morgenroutine das Checken des Systems. Und je nachdem, wie dort die Lage ist, gibt es Handlungsbedarf oder nicht.

Links: Wartungsarbeiten auf der Sommertraverse an einer seismologischen Außenstation auf dem antarktischen Festland; rechts: Wartungsarbeiten auf der Sommertraverse – Verlängern der Rohre (aufgrund des jährlichen Schneezutrags), an deren Ende unterirdisch je ein Seismometer steht
Benita immatrikulierte nach dem Abitur und einem freiwilligen ökologischen Jahr 2014/15 im Bachelorstudiengang Geophysik/Geoinformatik an der TU Bergakademie Freiberg. Den Master Geophysik schloss sie unmittelbar an. Während ihres Studiums belegte sie eine Vielzahl mathematischer, physikalischer und geophysikalischer Module. Letztere beinhalten die für Theorie und Praxis spezifischen Messverfahren. „Außerdem werden in der Regel Software bezogene Module vermittelt, bei denen man zum Beispiel lernt, mit Geoinformationssystemen umzugehen. Auch Programmiersprachen wie Matlab, Python oder C stehen auf dem Lehrplan. Je nach Universität gibt es noch Wahlmodule im geowissenschaftlichen und physikalischen Bereich, sodass man Einblicke in verwandte Fachbereiche wie Glaziologie, Ozeanographie oder Geologie erhält.“
Während des Studiums hörte Benita einen Vortrag einer ehemaligen Überwintererin und sah eine Doku über Neymayer III. Sie packte die Abenteuerlust, denn sie hatte immer schon davon geträumt, an einem exotischen Ort zu arbeiten. Sie bewarb sich auf eine Stelle, erhielt die Zusage, absolvierte einen Vorbereitungslehrgang in den Alpen und machte sich danach per Schiff auf den Weg ins ewige Eis.

Auf dem Rückweg von Wartungsarbeiten (daher die Leiter) im magnetischen Observatorium zur Station mit Abstecher im Spurenstoffobservatorium (orangefarbener Container)
An solch einem extremen Ort gilt es natürlich, einige Herausforderungen zu meistern. „Ungewohnt und nicht ganz einfach ist es, dass man nicht so schnell direkte Hilfe bekommen kann, weil außer uns ja niemand hier ist. Die Kollegen, die die Observatorien von Bremerhaven aus betreuen, können bei Problemen lediglich über Telefon, E-Mail oder Videocall helfen. Und mit Ferndiagnosen ist das ja immer so eine Sache. Aber man lernt auf jeden Fall damit umzugehen, wird selbstständiger und kann auf die Unterstützung der Teammitglieder zählen. Tatsächlich ist das wiederum recht komfortabel, weil wir hier im Prinzip für jeden Bereich jemanden haben, der/die sich auskennt – also Ärztin, Ingenieurin, ITler direkt im Haus. Eine andere Herausforderung ist sicherlich der erhöhte Kommunikationsbedarf. Es müssen sich viele verschiedene Bereiche absprechen, die alle oft andere Prioritäten haben. Und das betrifft nicht nur die Arbeit, sondern auch die Freizeit und das ganze Leben drum herum. Wir sind alle aufeinander angewiesen und können uns hier nicht so leicht aus dem Weg gehen, sodass es wichtig ist, fair zueinander zu sein und sich an gewisse Regeln und Sicherheitsvorschriften zu halten“, erzählt Benita und fügt an: „Das klingt vielleicht recht einschränkend und krass, aber es lebt und arbeitet sich hier sehr angenehm, die Station ist mit allem Nötigen ausgestattet und mit meinem Team ist es auch super.“ Am meisten fasziniert sie, dass sie, während sie am Computer sitzt und arbeitet, durchs Fenster in die schier unendliche Weite der Antarktis blicken oder beim Ausbringen eines Seismometers auf dem Meereis Kaiserpinguine sehen kann.
Text: Steffi Mrosek / Fotos: Alicia Rohnacher, Benita Wagner (Bild 1, Neumayer Station III)
Geophysiker:
… beschäftigen sich vor allem mit dem Inneren der Erde, also ihrem Aufbau, ihrer Beschaffenheit und den physikalischen Eigenschaften wie seismische oder elektrische Leitfähigkeit, Dichteverteilung, Verlauf des Magnetfeldes. Sie nutzen physikalische Messmethoden, um die Eigenschaften des Untergrundes abzubilden. Die klassischen Verfahren sind dabei die Geomagnetik, Gravimetrie, Geoelektrik, Elektromagnetik, Seismik bzw. Seismologie. Dabei hat jedes Verfahren unterschiedliche Messmethoden, die je nach Zielstellung gewählt werden können und auf verschiedenen physikalischen Prinzipien und Phänomenen beruhen. Neben dieser praktischen Arbeit spielen das Prozessieren, Auswerten und Interpretieren der erlangten Daten eine wichtige Rolle, beides geht Hand in Hand. Dadurch kann die jeweils untersuchte Eigenschaft des Untergrundes sichtbar gemacht und somit ohne in den Untergrund einzudringen ins Erdinnere geschaut werden. Es gibt außerdem einige spezialisiertere Untergruppen in der Geophysik wie die numerische Geophysik, die Bohrlochgeophysik, die extraterrestrische Geophysik oder die marine Geophysik.
Voraussetzungen:
Abitur bzw. fachgebundene Hochschulreife oder eine als gleichwertig anerkannte Zugangsberechtigung
Neugierde, mathematisches und physikalisches Verständnis sowie logisches Denken
Einsatzgebiete:
z. B. Ingenieurbüros im Bereich der Kampfmittelbergung, Baugrunduntersuchung oder Rohstoffexploration; in Institutionen oder Geotechnik-Firmen im Bereich Umweltmonitoring und Katastrophenschutz; in der Rohstofferkundung
Weitere Infos:
Bachelor Geoinformatik/Geophysik: https://tu-freiberg.de
Master Geophysik: https://tu-freiberg.de