Biogeochemiker (m/w/d)
Detektiv im System Erde
Markus Reichstein ist preisgekrönter Biogeochemiker und erforscht, wie die Sphären des Planeten auf den Klimawandel reagieren
Als Markus Reichstein vor über 20 Jahren Abitur machte, stand eines fest: Er wollte Naturphänomene verstehen. Schon als Schüler interessierte er sich für die Zusammenhänge der unterschiedlichen Erdsphären und hatte vor allem eines – viele Fragen. Wie reagieren Böden, Luft und Wasser auf Umwelteinflüsse? Was hat der Mensch damit zu tun?
Auch wenn der 41-Jährige inzwischen viele dieser Fragen beantworten kann; die ganze Wahrheit kennt der Direktor am Jenaer Max-Planck-Institut für Biogeochemie noch nicht. Zu groß ist das Gebiet der Geowissenschaft, einer Disziplin, die sich der Erforschung der Erde widmet und dabei Erkenntnisse für die Zukunft der Menschheit gewinnt. Reichstein hat Landschaftsökologie, Botanik, Chemie und Informatik studiert. „Man braucht physikalisches und biologisches Verständnis und muss mit Zahlen umgehen können“, sagt er. „Und die Mathematik ist die Sprache, mit der wir die Zusammenhänge beschreiben.“
Es ist ein Job, der keinen festen Rhythmus kennt und der Markus Reichstein zusammengerechnet zwei Monate im Jahr ins Ausland führt. USA, China, Südkorea, Japan, Ghana, Spanien – aneinandergereiht ergibt das eine Reise um die Welt. „Wir Forscher arbeiten global zusammen, treffen uns zu Kongressen oder in Forschungsstationen“, sagt Markus Reichstein. „Momentan interessieren wir uns für die Wasserkreisläufe in Savannenlandschaften.“ Dazu laufen Experimente in der Extremadura, einem Gebiet im Südwesten Spaniens. Mit Phosphor und Stickstoff simulieren die Forscher dort auf abgesteckten Flächen eine Atmosphäre, die der autoabgasgeschwängerten Luft in dicht besiedelten Ballungszentren nahekommt. Damit wollen sie herausfinden, wie der Boden reagiert. Die durch Kraftfahrzeuge ausgestoßenen Stoffe landen irgendwann als Dünger in der Erde und bringen Pflanzen zum Wachsen. Das braucht viel Wasser und kann die Böden austrocknen, im Extremfall Dürren auslösen. Dazu arbeiten die Wissenschaftler mit Bohrern, die tief in den Untergrund vordringen, um Proben zu entnehmen. Finanziert wird das Projekt auch mit den 750.000 Euro Preisgeld, die Markus Reichstein und sein amerikanischer Kollege Chris Field im vergangenen Jahr mit dem Max-Planck-Forschungspreis erhielten.
Auch wenn Markus Reichstein oft verreist, ist sein Alltag von der Arbeit am Computer bestimmt. Morgens beantwortet er E-Mails von Kollegen, die über Nacht eingelaufen sind, bevor es an die eigentliche Forschung geht. Ohne Englisch-Kenntnisse wäre er dabei verloren, denn auch in seinem Jenaer Institut ist das die Haussprache. „Der Job hat etwas völkerverbindendes, weil Hautfarbe, Sprache und kultureller Hintergrund völlig egal sind“, sagt er und klingt ein bisschen stolz. „In der Forschung zählen nur die Argumente.“ Und die lassen sich meist logisch aus Daten ableiten.
FLUXNET heißt das von Reichstein mitgestaltete Netz von Messstationen, das weltweit registriert, wie Ökosysteme auf Sonneneinstrahlung, Temperaturen und Niederschlag reagieren und wie viel Kohlendioxid die lokale Vegetation aufnimmt. Ihre Ergebnisse liefern die Hightech-Geräte an eine Datenbank, mit der Computermodelle erstellt werden. Modelle, die unter anderem zeigen, wie sich der Planet durch den Treibhauseffekt verändert und seine Biosphäre und Organismen reagieren.
„Im Gleichgewicht wird immer so viel Kohlendioxid von den Pflanzen aufgenommen, wie durch Mikroorganismen, Tiere und auch Äste und Wurzeln der Pflanzen abgegeben wird.“ Reichstein nennt das Beispiel eines Blattes, das vom Baum fällt und verfault. Am Ende bleiben davon Kohlendioxid und Nährsalze übrig, die anderen Pflanzen als Dünger dienen. „Wir Menschen pusten mit fossilen Brennstoffen wie Erdöl aber mehr Kohlenstoffe in die Atmosphäre, als wieder aufgenommen werden können.“ Der natürliche Kreislauf ist aus dem Gleichgewicht. Zwar nehmen die Ökosysteme und Ozeane auch ein bisschen mehr Kohlenstoff auf, als früher. Aber nicht so viel, wie zuvor in der Atmosphäre gelandet sind. Deshalb erwärmt sich die Erde. „Eine große Frage ist, wie lange unsere Ökosysteme noch dabei helfen können, den Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre abzuschwächen.“ Die Rechenmodelle von ihm und seinen Kollegen sollen das sichtbar machen, die Bodenproben die Beweise dafür liefern. „Es ist wie ein Detektivspiel, das alles zusammenzupuzzeln.“ Getrieben von der Jagd auf neue Erkenntnisse aus dem Erdsystem ist das ein Spiel, das noch lange nicht zu Ende ist.
Text: Tobias Wolf | Foto: Sven Döring – Agentur Focus