Agrarwirtschaft, Studium
1 Akademikerin & 584 Rindviecher
Diplomingenieur (m/w/d) (FH) für Agrarwirtschaft
Anmerkung der Redaktion: Der Studiengang Agrarwirtschaft wird inzwischen mit dem Abschluss „Bachelor of Science (B. Sc.)“ angeboten.
Die Rassemerkmale der „Deutsche Holsteins“ der Farbrichtungen Schwarzbunt sind höchste Milchleistung, sehr gutes melkbares Euter, hoher Milchfluss, Frühreife und hohe Futteraufnahme. Sie werden auf maximale Milchleistung und gute Zuwachsleistung gezüchtet.
Die Spitzenkuh der Agrargenossenschaft Bielatal eG mit Sitz in Langhennersdorf produziert täglich sagenhafte 58 Liter Milch!
Zwei Herden mit insgesamt 584 Rindern der o.g. Rasse stehen derzeit – um genau zu sein am 15. Juli, dem Tag meines Besuchs – in den vier Ställen in Bielatal. Davon sind 312 Milchkühe, 64 weibliche Jungrinder, 139 Färsen und 69 Kälbchen und davon wiederum 63 weibliche. Das heißt – die ganz schnellen Rechner unter euch wissen es längst – der Bestand zählt nur 6 männliche Rinder, Kälber zwischen 0 bis 6 Monaten. Erklärtes Ziel der 10 Mitarbeiter: Hochleistungsmilchkühe mit einem Schnitt von 36 Liter Milch pro Tag zu züchten, mit der produzierten Milch maximale Gewinne zu erwirtschaften und damit ihre Arbeitsplätze zu sichern.
Jeden Morgen wird das Gemelk, knapp 7.000 Liter, von einem großen Tanklaster der Sachsenmilch AG abgeholt und im Werk Leppersdorf weiterverarbeitet. Um die 27 Cent pro Liter erhalten die Bauern. Landwirt ist ein Beruf für Idealisten.
Jeden Werktag gegen sechs Uhr beginnt Ilka Thöns, die Leiterin Tierproduktion oder neudeutsch die Herdenmanagerin und Chefin der 584 Kühe, mit ihrer Arbeit. Ilka ist Diplomlandwirtin (FH) und hat an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (FH), Fachbereich Landbau/Landpflege in Dresden Pillnitz, 8 Semester Agrarwirtschaft studiert. „Mit dem Abschluss, den man in Pillnitz bekommt, besitzt man ein breit gefächertes Grundlagenwissen – alle Wege stehen offen. Es bieten sich gute berufliche Chancen in der freien Wirtschaft und im öffentlichen Dienst“, erklärt mir die sympathische und äußerst kompetente 26-Jährige. Eigentlich wollte sie nach dem Abi Biologie studieren, entschied sich aber während des Ökologischen Jahres für das perspektivreichere Studium der Agrarwirtschaft. „Mir wurde Mut gemacht, auch als Frau, auch als Quereinsteiger – in meinem Fall heißt das ohne jegliche landwirtschaftliche Vorkenntnisse – diesen Diplomstudiengang zu belegen. Außerdem hatte ich so ein Gefühl im Bauch, das mir sagte: Die Arbeit auf dem Land mit Tieren, möglichst mit Kühen, das ist was für mich. Ich habe es niemals bereut. Ich bin glücklich, und ich möchte alt werden hier im Betrieb“. Ihre großen blauen Augen strahlen – stolz führt sie mich durch die Ställe.
Kälbchen, Färsen, Kühe
Zuerst zeigt sie mir die niedlichen kleinen Kälbchen, die in einem extra Stall untergebracht sind. Die Tiere, die erst wenige Stunden alt sind, stehen noch ziemlich wackelig auf ihren dünnen Beinchen oder liegen, Kräfte sammelnd, im frischen Stroh. Ilka erklärt mir: „Nach dem Kalben lässt man die Kuh ihr Kleines trocken lecken, um es dann im Kälberstall – hier kann es nicht von der Mutter erdrückt werden – maschinell mit der inzwischen auf evtl. Infektionen untersuchten Muttermilch zu versorgen. Die Darmwand bzw. der Organismus der Kälbchen ist nur wenige Stunden für die Aufnahme und Umsetzung dieser nährstoffhaltigen Milch bereit, die wie eine Impfung wirkt und den gesunden Start ins Kälberleben garantiert“. Zutraulich saugen die etwas größeren Kälbchen an Ilkas Daumen und lassen sich von ihr kraulen.
Im Nachbarstall, den wir danach aufsuchen, sind derweil die Kühe gemolken worden und haben sich die Pansen mit Hochleistungsfutter vollgeschlagen. Träge liegen oder stehen sie im Stall – die vier Mägen sind mit Wiederkäuen beschäftigt, Milch wird produziert.
Zwei bis dreimal pro Tag geht Ilka durch die Ställe und inspiziert die Herden. Sie führt u.a. die Brunstkontrolle durch, und stellt die „rindernden“ Kühe dem Besamer vor. Sie fragt ihre Mitarbeiter nach besonderen Vorkommnissen, gibt Anweisungen, begleitet den Besamer, den Tierarzt und den Abdecker, leistet hin und wieder Geburtshilfe und kümmert sich um die Erstversorgung der frisch geborenen Kälber. Sie managt u.a. die Futterbestellung, pflegt die Stammdaten der Herde am Computer ein und weiß damit z. B. genau, welche Kuh mit welchem Bullensamen besamt wurde, welche Krankheiten bestanden und wie hoch die tägliche Milchleistung ist.
Ilka hat ein Gespür für die Tiere, die sich gern von ihr kraulen lassen und dabei genießerisch den Hals lang machen. Als Landwirt sollte man körperlich belastbar sein und anpacken können. Wichtig sind auch die innere Ausgeglichenheit. Nicht nur die Arbeit mit den Tieren, sondern vor allem die Unternehmensführung gehören zu Ilkas Pflichten. Sie ist für die reibungslose Produktion des Milchbetriebes verantwortlich. Normalerweise arbeitet sie keine Schichten und auch nicht am Wochenende, muss weder melken noch misten. Ilka erklärt mir, dass die tägliche Milchleistung jeder Kuh automatisch am Melkstand erfasst und am Computer von ihr ausgewertet wird. Wenn eine Kuh mal weniger Milch gibt, wird sie besonders beobachtet und betreut, um eventuell frühzeitig Krankheiten zu erkennen. Grundvoraussetzungen für eine maximale Milchleistung sind: gezielte Fütterung mit Konzentratfutter, gute Pflege, viel Ruhe und die Einhaltung der strengen Hygienevorschriften. Nun verstehe ich auch, dass keine Kuh nur durch Füttern mit Grünfutter 8.000 Liter Milch im Jahr geben kann.
Hochleistungskühe sind sehr sensible Tiere. Sie merken jede Futterumstellung, jeden Melkerwechsel und wenn Fremde im Stall sind. Sie reagieren dann nervös und halten beim Melken die Milch an. Während Ilka mir das alles erläutert, hebt die Kuh neben mir, völlig unbeeindruckt, den Schwanz und lässt mit einem lauten Platsch einen Fladen fallen. Wirklich sehr feinfühlig.
Wir schauen nach den bald kalbenden Kühen, die in einem separaten Teil des Stalles stehen. Ca. 56 Tage bevor das Kalb kommt, stellt man die Kuh „trocken“, d. h. sie wird nicht mehr gemolken und bekommt anderes Futter. Trockenstehzeit bedeutet Erholungsphase für Kuh und Euter. Dann, kurz bevor sie kalbt, wird das Euter prall und rund. Milch fängt an zu tropfen. Die Kuh wird jetzt besonders beobachtet, falls Probleme beim Kalben auftreten. Für diesen Fall stehen Ilka und ihre Kollegen bereit und leisten fachmännische Geburtshilfe. Ansonsten bringt eine Kuh ihren Nachwuchs allein, möglichst ungestört und in der Regel ohne Hilfe zur Welt. Rinder kalben ca. einmal im Jahr. Übrigens: Färsen sind Jungrinder noch ohne Kalb und deshalb auch noch ohne Milch. Sobald Kalb und Milch da sind, wird aus der Färse eine Kuh und damit fängt für sie der Ernst des Lebens an.
Text & Fotos: Steffi Mrosek