Gästeführer (m/w/d)
Mit fremden Augen durch die eigene Stadt
Gästeführer erschließen die besonderen Themen, die Touristen heute suchen
Das Wunderbare an diesem Beruf ist, dass du ihn frei gestalten kannst, je nachdem, wofür du dich interessierst, denn es gibt so viele Fremden- und Stadtführer, dass es von Vorteil ist, sich zu spezialisieren. Baustile, berühmte Literaten, Kunst, Wirtschaft, Tiere oder Parks – eine Stadt hat viele Themen. Es gibt in Berlin beispielsweise Schüler-Guides, die bieten interreligiöse Stadtführungen durch Kirchen, Moscheen und Synagogen an. Du brauchst nicht einmal eine Stadt, um neben der Schule als Fremdenführer zu arbeiten. Es genügt, wenn du dich für einen erloschenen Vulkan, ein Stück Urwald oder ein Dorf mit einer spannenden Geschichte begeisterst.
„Ich habe früher nie daran gedacht, einmal Stadtführungen zu machen“, erzählt Markus Kohl. „Ich bin jemand, der Orte gern auf eigene Faust erforscht.“ Das ist übrigens eine gute Voraussetzung für die Arbeit als Guide, denn nichts langweilt Gäste mehr, als bloßes Zahlen- und Faktenwissen aus Büchern. Ein guter Fremdenführer bringt von seinen Entdeckungsreisen eigene Beobachtungen und Erfahrungen und aufgeschnappte Anekdoten mit, eben das, was nicht in Büchern steht. Geboren und aufgewachsen ist Markus in Nordhessen. Heute buchen nicht nur Touristen, sondern auch viele Berliner seine Touren durch ihre Stadt, denn er beobachtet die Entwicklung genauer als die meisten, die hier leben und hat sich in den Jahren ein beträchtliches Wissen angeeignet. Beliebt bei den Einheimischen ist beispielsweise die „Allerleitour“, die zu Orten jenseits der Touristen-Attraktionen führt wie die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen oder drei innerstädtische Seen. Bevor Markus Stadtführer wurde, studierte er in Cottbus Stadtplanung und begann, eigene Filme zu machen, hing noch drei Semester Filmwissenschaften und Archäologie daran, arbeitete als Kamera- und Regieassistent beim Fernsehen sowie als Betreuer und Kursleiter am Goethe-Institut. Eine Annonce in der Zeitung machte ihn auf eine Ausbildung zum Gästeführer aufmerksam. Da hatte er schon entdeckt, dass es ihm Spaß macht, Reisen und Stadtführungen für seine Schüler zu organisieren. Die Ausbildung umfasste u. a. Selbstvermarktung, Reiseverkehrsrecht, auch Stimm- und Sprechtraining, Konfliktmanagement und einen Ausflug in die Geschichte des Reisens. Ein Guide sollte andere Sprachen beherrschen. Englisch ist ein Muss. Markus spricht darüber hinaus auch Französisch. Vor drei Jahren ist der Vierzigjährige bei den Berlin Bike Tours angekommen.
Am Nachmittag ist er mit vier Gästen verabredet, die er diesmal zu Fuß durch Berlins Mitte führen wird. Treffpunkt: Weltzeituhr Alexanderplatz. Markus erklärt die Gebäude, streift die Zwanzigerjahre und die DDR-Geschichte und beschreibt dann, wie der Platz in Zukunft aussehen wird.
Nach zwei Stunden, die rasch vergangen sind, führt Markus die kleine Gruppe am Gendarmenmarkt in die Schokoladenmanufaktur „Fassbender & Rausch“, wo es das Brandenburger Tor, das Reichstagsgebäude und den Fernsehturm aus Schokolade gibt, und er unternimmt mit ihnen einen Spaziergang durch die Einkaufspassagen in der Friedrichstraße mit dem Kaufhaus Lafayette. Markus setzt um, was er beim Filmemachen gelernt hat: Er gibt seinen Touren einen dramatischen Bogen und Spannungspunkte. „Nach zwei Stunden muss ich mir etwas einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit der Gäste wach zu halten. Ich arbeite gern mit Kontrasten; weite Plätze und enge Räume zum Beispiel.“
Gestärkt durch einen Schokoriegel und einen französischen Espresso sind die Gäste bereit für das sachliche Regierungsviertel. Auch so ein Kontrast. „Bisher ist es noch nie langweilig geworden“, sagt Markus. „Die Stadt ändert sich. Und die Gäste sind jedes Mal andere.“
Text & Fotos: Kathrin Schrader