Gebärdensprachdolmetscher (m/w/d)
Mehr als Zeichen geben
Gebärdensprachdolmetscher (m/w/d)
Wenn Ramona Nitzschner und Melanie Jatzke sich unterhalten, wird eins sofort klar: Sprache ist eine ziemlich lebendige Angelegenheit – und das nicht nur, weil sich die Unterhaltung um Melanies bevorstehenden Urlaub dreht.
Ihre Hände fliegen hin und her, formen Zeichen. Beide halten fortwährend Blickkontakt. Ihre Oberkörper artikulieren ausdrucksstark. Augen, Mund, Stirn und Augenbrauen sprechen Bände. Ich interpretiere Begeisterung, Zustimmung, Interesse, Ablehnung, Missfallen selbst Mitgefühl, Leichtigkeit und Anstrengung. Ihre Bewegungen sind fließend. Ihre Münder formen Worte – lautlose Worte.
Die Sprache, in der die gehörlose Melanie und die hörende Ramona kommunizieren, ist die Deutsche Gebärdensprache – für Melanie Muttersprache – für den größten Teil der Bevölkerung – auch für mich – leider eine Fremdsprache.
Und so ist auch Frau Dressler, Melanies Chefin in der Behindertenwerkstatt, ziemlich hilflos, wenn sie mit ihr wichtige Dinge besprechen will. Doch zum Glück gibt es Ramona, die den beiden bei Verständigungsschwierigkeiten hilfreich zur Seite steht und von der deutschen Lautsprache in die deutsche Gebärdensprache bzw. andersherum simultan (gleichzeitig) übersetzt. Als Gebärdensprachdolmetscherin ist sie seit 10 Jahren freiberuflich tätig. Die 41-Jährige dolmetscht für ca. 50 Gehörlose im Raum Bautzen, Hoyerswerda, Kamenz und Zittau. „Das Faszinierende an meiner Arbeit ist für mich, dass ich den Gehörlosen und Hörenden die Kommunikation ermöglichen kann. Ich verstehe beide Sprachen, kann vermitteln und so auch (Sprach)Barrieren beseitigen. Es ist mir sehr wichtig, Gehörlosen zur Seite zu stehen, damit diese ein selbstbestimmtes Leben führen und am öffentlichen Leben gleichberechtigt teilnehmen können“, so Ramona voll Begeisterung. Weiter erklärt sie: „Im Gegensatz zu den meisten anderen Gebärdensprachdolmetschern habe ich das Gefühl für diese Sprache in die Wiege gelegt bekommen. Meine Eltern sind beide gehörlos. Die Gebärdensprache lernt man – auch als Hörender – am besten mit Gehörlosen zusammen“. Und so kennt sie weder Scheu noch Berührungsängste und erträgt gelassen das neugierige Starren anderer Leute, denn sie hat schon als Kind für ihre Eltern gedolmetscht. „Gehörlose sind ja nicht stumm“, hebt sie weiter hervor, „ihre Sprache ist verzerrt, weil sie sie nicht wahrnehmen also mit dem Gehör nicht prüfen können. Die Kinder Gehörloser gewöhnen sich daran. Ich verstehe z.B. meine Mutter, auch wenn ich ihr den Rücken zudrehe. Ich verstehe sie, weil ich ihre Stimme gewöhnt bin“.
Ramonas Dolmetscherdienste werden bei den verschiedensten oft ganz alltäglichen Anlässen benötigt. So begleitet sie Gehörlose überall da hin, wo Kommunikation stattfindet: zu Arztbesuchen, Elternabenden, zu Polizei- und Gerichtsverhandlungen, zu Betriebsversammlungen, Arbeitsschutzbelehrungen, auf Kongresse, Beerdigungen, Hochzeiten, zur Ausbildung, zum Studium … Die Fülle der Dienstorte macht nicht nur klar, dass sie ihre Einsätze gut vor- und nachbereiten muss, um die entsprechenden Fachtermini aus dem Gedächtnis abrufen zu können. Sie unterliegt außerdem einem beruflichen Ehrenkodex also der Schweigepflicht gegenüber Dritten.
Übrigens: Bis zu neun Informationen können in einer Gebärde stecken, die man gleichzeitig erfassen muss.
Text & Fotos: Steffi Mrosek