Hörakustiker (m/w/d)
Kein Ohr-Angsthase
Der Beruf des Hörgeräteakustikers ist mit viel Beratung verbunden, denn Hören ist eine höchst individuelle Sache, und die Technik wird immer ausgeklügelter. Der Ausbildungsberuf bietet viele Entwicklungsmöglichkeiten.
An diesem Vormittag ist Kevin Eitzer mit einem Mann verabredet, der zu den jüngeren seines Kundenkreises zählt. Er ist irgendwo in den Vierzigern und berufstätig. Der Hörgeräteakustik-Meister bittet den Kunden in seinen Beratungsraum und hört erst einmal zu. Der Mann erzählt, dass er viele Jahre Musiker gewesen sei und nun eine Künstleragentur leite. Seit einiger Zeit habe er Mühe, Kollegen, die leise sprechen, in den täglichen Konferenzen zu verstehen. Auch das Telefonieren strenge ihn neuerdings an. Er wolle einen Hörtest machen. Kevin setzt ihm die Kopfhörer auf und reicht ihm einen kleinen Schalter, den er jedes Mal, wenn er ein Geräusch hört, betätigen soll. Dann startet er das Test-Programm. Es dauert einige Minuten. Die Kurve weist im Diagramm auf Kevins Monitor tatsächlich eine Verringerung des Hörvermögens aus. Kevin kann seinen Kunden aber beruhigen. Sein Hörverlust sei überhaupt nicht dramatisch, bestätige aber die empfundene Einschränkung im Berufsalltag. Der Mann ist deprimiert. Mit einer Brille könne er sich noch anfreunden, aber ein Hörgerät sei nun wirklich nicht sexy.
Kevin führt ihm ein sehr kleines Gerät vor, das hinter dem Ohr getragen wird. Nur der winzige Lautsprecher liegt ihm Gehörgang. Es gehört zur neuesten Generation von Hörgeräten, die Sprachlaute aus dem Wust von Geräuschen herausfiltern und verstärken können, wie unser natürliches Ohr auch. Zudem ist es fast unsichtbar. Der Künstleragent hat jetzt viele Fragen. Kevin nimmt sich Zeit. Zur Frage nach der Ursache des Hörverlustes kann er allerdings nichts sagen. Sowieso muss sein Kunde, bevor er ein Hörgerät bekommt, den Facharzt aufsuchen. „Ich darf keine Diagnosen stellen“, sagt Kevin. Am liebsten würde der Mann so eine Hörhilfe gleich einmal ausprobieren. Kevin erklärt sich dazu bereit, weist aber darauf hin, dass der wahre Test draußen im Alltag stattfindet. Erst danach könne er den Klang entsprechend des individuellen Empfindens einstellen. „Es gibt Kunden, die sind sofort mit ihrem Gerät zufrieden, andere empfinden den Klang als dumpf, wieder andere als blechern. So unterschiedlich wird derselbe Sound mit dem gleichen Hörverlust wahrgenommen“, erklärt der 25-jährige Akustiker-Meister. Anders als der Optiker, der seine Kunden häufig nur zweimal sieht – zum Sehtest und wenn sie ihre Brille abholen – hat Kevin mindestens vier Termine mit seinen Kunden. Nach Hörtest und Beratungsgespräch wird eine Abformung des Gehörganges vorgenommen. Während der Ausbildung hat Kevin selbst in der Werkstatt die sogenannten Ohrpassstücke entsprechend der Abformungen gefräst. „Man sollte deshalb neben technischem Interesse ein gewisses handwerkliches Geschick mitbringen“, rät er. Heute gibt er die Abformungen ins Labor und bekommt das fertige Passstück geliefert, das höchstens noch hier und da korrigierend nachgefräst werden muss. Mit modernster Computer-Technologie stellt Kevin jetzt das Hörgerät auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden ein. Nach einigen Tagen oder Wochen kommt der Kunde wieder, um über seine Erfahrungen zu sprechen. Oft müssen die Einstellungen dann angepasst werden. Nicht jeder ist noch geistig und körperlich so fit wie dieser ehemalige Musiker. „Man braucht Verständnis für die Schwierigkeiten älterer Leute“, sagt Kevin. „Langsames, deutliches Sprechen ist Pflicht. Geduld ist wichtig und ein sicheres Auftreten, denn ein unsicherer Berater wirkt unglaubwürdig.“ Entwicklungsmöglichkeiten hat er viele. Kevin möchte ein betriebswirtschaftliches Studium anschließen, um später eine größere Filiale zu leiten, zum Bezirksleiter bei Geers aufzusteigen. Wenn Kevin Lust hätte, könnte er sich auch mit einem eigenen Geschäft selbstständig machen. Immerhin 70 Prozent aller Hörgeräteakustik-Meister in Deutschland gehören zu keiner der großen Ketten.
Text & Fotos: Kathrin Schrader