Mathematischer Modellierer (m/w/d)
Weltformeln
Mathematische Modellierer stellen sich komplexen Problemen
Mittels mathematischer Modellierungen lässt sich nahezu die ganze Welt beschreiben. Jedenfalls unternehmen mathematische Modellierer diesen Versuch. Als Forschungsreisende begeben sie sich in die Tiefen komplexer Systeme. Dafür brauchen sie starke Nerven, um den Überblick zu wahren, und eine hohe Frustrationstoleranz, denn einfach sind diese Matheaufgaben nicht, und die Fehlerquote ist hoch. Umso besser fühlt es sich an, wenn das Modell am Ende die Realität abbildet. Die Wahrscheinlichkeit zerstörerischer Tornados kann ebenso modelliert werden wie Unfallgefahren selbstfahrender Autos, Entwicklungen am Kapitalmarkt und das perfekte Match auf einer Dating-Plattform. Mathematische Modellierer sind beispielsweise auch gefragt, wenn es um das Verhalten von Krebszellen geht oder eine Pandemie ausbricht.

Links: Simon Syga in der Lobby seines Institutes. Rechts: Simon stellt die Ergebnisse seiner Doktorarbeit auf einer Konferenz vor. Kommunikation und Präsentation der eigenen Arbeit sind zwei Tätigkeitsschwerpunkte eines Wissenschaftlers.
Simon Syga ist 31 Jahre alt und arbeitet in der Abteilung Innovative Methoden des Computing im Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen der Technischen Universität Dresden an seiner Dissertation. Sie dreht sich um das Verhalten von Krebszellen. Also kann Mathematik sogar Krebs heilen? Nun, so einfach ist es nicht. Aber die Arbeit von Simon veranschaulicht, wie herausfordernd die Arbeit eines Mathematischen Modellierers ist. Am Beginn steht eine Fragestellung, zum Beispiel: Wie können wir Krebszellen an ihrer Verbreitung im Körper hindern? Dann gilt es, alles zu beobachten, was Einfluss auf diese Problematik hat und dieses Wissen zusammenzutragen. Aus dem realen Problem – Krebszellen haben die Eigenschaft, sich im Körper zu verbreiten – wird dann ein mathematisches Problem formuliert, das heißt, alle Parameter, die Einfluss auf diese Eigenschaft der Krebszelle haben, beispielsweise die Genetik der Zelle, das Alter des Patienten, werden zu Bestandteilen einer Rechenaufgabe. Da es in diesem Fall nicht nur die zwei genannten Parameter gibt, sondern viele, viele weitere, wird es eine große Rechenaufgabe mit zig Wenn-Dann-Funktionen. Um diese zu lösen, programmiert Simon einen Hochleistungsrechner seines Instituts, der in einer extra Halle steht, die groß genug ist für den Server, den diese Computer benötigen.

Simon an seinem Arbeitsplatz. Das Design und die Analyse von mathematischen Modellen erfordert Beharrlichkeit und Kreativität.
Sein Büro-Arbeitsplatz mit den zwei Rechnern sieht eher unspektakulär aus. Und ebenso unspektakulär beginnt sein Tag im Büro. Er checkt Mails und bereitet Termine vor, Termine mit den vielen Wissenschaftlern anderer Disziplinen und Institute aus vielen Ländern, mit denen er zusammenarbeitet. Sein Alltag als Wissenschaftler besteht aus einsamen Tüftelstrecken am Rechner und sehr viel Kommunikation mit anderen, denn jeder Wissenschaftler ist immer Teil eines Teams.
Ihr erinnert Euch an die Formeln der Pandemie, an Begriffe wie 7-Tage-Inzidenz, R-Wert und Hospitalisierungsrate. Modellierer haben Parameter für den Verlauf der Ansteckungen gefunden, um beispielsweise zu errechnen, welche Maßnahmen die Verbreitung des Virus effektiv eindämmen. Auch Simon hat sich vor zwei Jahren in einem Team mit der Pandemie beschäftigt und sogar an einem Buch mitgearbeitet: Die Mathematik der Pandemie von Dieter Wolf-Gladrow, Andreas Deutsch und Simon Syga ist in diesem Jahr als populärwissenschaftliches Sachbuch im Springer-Verlag erschienen. Der Biomathematiker Prof. Andreas Deutsch ist sein Doktorvater.
Simon gehörte auch zu einem Wissenschaftlerteam, das seine Ergebnisse zur Migration einer bestimmten Krebszelle im Fachmagazin Nature Cell Biology veröffentlicht hat. Eine solche Veröffentlichung ist in der akademischen Welt ein Ritterschlag, aber auch ein Prüfstand. Andere Wissenschaftler können jetzt auf Fehler hinweisen. Wie geht er damit um, dass ihm Fehler unterlaufen oder er die richtige Formel nicht findet? „Man sollte als Forscher schon Spaß daran haben, Rätsel zu lösen und einen gewissen Spieltrieb mitbringen. Natürlich gibt es Tage, an denen ich das Gefühl habe, auf der Stelle zu treten. Dann hilft es, einfach mal rauszugehen und einen Spaziergang zu machen oder sich mit Freunden auszutauschen.“
Simon hat an der Technischen Universität Dresden sowohl im Bachelor als auch im Master Physik studiert. Programmieren und modellieren war Teil seines Studiums. Er lernte einige gebräuchliche Programmiersprachen. Aber vieles hat er sich auch selbst beigebracht. Nach dem Bachelor stand für ihn fest, dass er die biologische Mathematik vertiefen will. Nach der Promotion, in der Post-Doc-Phase möchte er sich weiter in seine Forschungen hineinknien und sich durch Publikationen profilieren. Er kann sich auch vorstellen, zu habilitieren und als Professor im Hörsaal zu stehen.
Text & Fotos: Kathrin Schrader / Foto oben rechts: TU Dresden