Professor (m/w/d)
Von Beruf: Professor
Data Scientist – Sexiest Job of the 21st Century
Interview mit Pascal Kerschke, Professor für Big Data Analytics in Transportation
Herr Prof. Kerschke, bitte stellen Sie sich kurz vor!
Sehr gerne. Ich heiße Pascal Kerschke und bin seit März 2021 Professor für „Big Data Analytics in Transportation“ an der TU Dresden. Die Professur gehört zur Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“. Sie ist Deutschlands einzige Fakultät, an der sich Forschende und Studierende primär verschiedenen Themen rund um Mobilität, Verkehr, Vernetzung etc. widmen – in meinem Fall aus datenanalytischer Perspektive und somit aus Sicht der Fächer Informatik und Statistik.
Bevor ich an die TU Dresden kam, war ich an der TU Dortmund und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. In Dortmund habe ich „Datenanalyse und Datenmanagement“ und anschließend „Datenwissenschaft“ studiert. Danach war ich für acht sehr schöne Jahre am Lehrstuhl für „Statistik und Optimierung“ am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität Münster tätig.

Vorlesungen vor der Kamera: Corona hat auch an den Universitäten zu großen Veränderungen geführt. Der Großteil der Vorlesungen und Seminare fand und findet noch digital statt – mal als Videokonferenz oder als Aufzeichnung ins Uni-Netz hochgeladen. Für die Lehrenden wie Pascal Kerschke hieß das, sich im Umgang mit Kamera, Licht, Ton, Schnitt und Filmprogrammen fortzubilden. Am Institut für Wirtschaft und Verkehr an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ gibt es ein kleines Filmstudio, in dem auch Pascal Kerschke seine Lehrveranstaltungen vorbereitet bzw. zu seinen Studierenden spricht.
Respekt! Sie tragen mit 34 Jahren bereits einen Professorentitel! Fleiß, Ehrgeiz, Intelligenz, Talent, Ausdauer, Disziplin, Zielstrebigkeit, Willensstärke, Leidenschaft… Welchen Begabungen verdanken Sie diese beeindruckende Karriere?
Gute Frage… (überlegt) …Vermutlich eine Kombination der genannten Eigenschaften. Anfangs war es eine Mischung aus Interesse sowie Talent in analytischen und logischen Fächern wie Mathematik und Informatik. Im Laufe der Zeit kamen Fleiß und Ehrgeiz hinzu. Und was aus meiner Sicht auch sehr wichtig ist: Der regelmäßige Austausch mit meinen Mitmenschen.
Was hat Sie bewogen, sich nach dem Abitur für den Bachelor-Studiengang Datenanalyse und -management und anschließend für den Masterstudiengang Datenwissenschaft zu entscheiden? Haben da Hobbys eine Rolle gespielt?
Hobbys nicht direkt, aber eine hohe Neigung. In der Schule hat mir Mathe sehr viel Spaß gemacht und in der Freizeit habe ich mich mit kleineren Projekten am PC beschäftigt, wie eine eigene Webseite zu basteln oder ein einfaches Jump-and-Run-Spiel zu programmieren. Trotzdem fand ich damals weder ein Mathe- noch ein reines Informatik-Studium attraktiv. Auf einer Studienmesse in Berlin entdeckte ich am Stand der TU Dortmund die Studiengänge Statistik sowie Datenanalyse und -management. Letzterer klang nach einer guten Mischung meiner beiden favorisierten Fächer. Rückblickend betrachtet, war es die absolut richtige Entscheidung für mich! Der Schritt vom Bachelor- zum Masterstudiengang war dann sehr leicht. Datenwissenschaft war der auf meinem Bachelor aufbauende Masterstudiengang. Und da ich mit meinem Bachelorstudiengang zufrieden war, gab es auch keinen Grund den Studiengang zu wechseln.

Normalerweise würden hier in der Lehrveranstaltung vor Pascal Kerschke angehende Verkehrswirte und Verkehrswirtinnen bzw. Verkehrsingenieur:innen sitzen. Wegen Corona sind sie nur digital zugeschalten und der Professor spricht in die Kamera. Der Praxisbezug wird in den Studiengängen der Fakultät Verkehrswissenschaften an der TU Dresden großgeschrieben. Hier erklärt Pascal Kerschke anhand einer Karte von Dresden, wie sich verschiedene Elemente einer Landkarte (Stadtteile, Straßen- und Schienennetz, Wasserwege, Gebäude etc.) mit wenig Aufwand am Computer erzeugen und individuell anpassen lassen.
Sie schlossen ein Promotionsstudium in Wirtschaftsinformatik an. Ab welchem Zeitpunkt wussten Sie, dass Sie einmal in die Forschung und Lehre gehen werden?
Als ich den Ruf auf diese Professur erhalten habe (lacht.) Vorher konnte ich höchstens davon träumen und darauf hinarbeiten. Meine Begeisterung für Forschung und Lehre hat sich bereits während des Studiums entwickelt. In Dortmund war ich an verschiedenen Lehrstühlen tätig – als Tutor und als studentische Hilfskraft bei Forschungsprojekten wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen. So konnte ich während meines Studiums diverse Aufgaben in Forschung und Lehre ausprobieren. Dennoch lag mein Fokus immer auf dem nächsten „Etappenziel“ (Bachelor, Master, Promotion, Professur). Viel weiter kann man in der Wissenschaft, und insbesondere im deutschen Wissenschaftssystem mit vielen Zeitverträgen, nicht planen.
Datenanalyse klingt staubtrocken. Ist es aber nur für Uneingeweihte, stimmt’s?
Datenanalyse ist alles andere als staubtrocken – sonst wäre „Data Scientist“ in den vergangenen Jahren wohl kaum mehrfach zum „Sexiest Job of the 21st Century“ gekürt worden. (lacht) Ich finde es immer wieder faszinierend, wie vielfältig Datensätze sein können und welche Informationen sich aus ihnen herausholen lassen, um sie anschließend in diversen Prozessen weiterzuverwenden. Ein Beispiel aus dem Alltag: Beim Online-Shopping oder Filme-Abend erhalten wir personalisierte Produktempfehlungen und unsere Smartphones „erkennen“ uns anhand unseres Fingerabdrucks oder Gesichts.
Mithilfe von Daten können wir aber auch zeigen, wie naiv Algorithmen oftmals „denken“ und somit auch, wie beschränkt künstliche „Intelligenzen“ derzeit noch sind.
Welche Charaktereigenschaften/Softskills zeichnen einen guten Datenanalysten aus?
Ein guter Datenanalyst sollte neben einer analytischen Denkweise auch Flexibilität und etwas Kreativität (für die Auswahl sowie Entwicklung passender Lösungsansätze) mitbringen. Außerdem hilft es, wenn man „chronisch neugierig“, thematisch vielseitig interessiert und offen für die Arbeit in interdisziplinären Teams ist. Jedes Projekt ist einzigartig und damit auch die am Projekt beteiligten Kooperationspartner*innen. Alle Personen bringen ihren eigenen Hintergrund und ihr eigenes Fachvokabular mit sowie eine andere Sicht- und Denkweise. Da muss man meist erst einmal zueinanderfinden. Denn auch bei der Analyse von Daten gilt: Je besser das eigentliche Problem verstanden wird, desto genauer lässt sich darin gezielt nach Zusammenhängen und Mustern suchen.
Datenanalyse im Bereich Transport- und Verkehrswissenschaften: Welche spannenden Forschungs-, Berufs- und Tätigkeitsfelder ergeben sich auf diesem Gebiet?
Die Themen in diesem Bereich sind äußerst spannend und divers. Unsere Fahrzeuge sind heutzutage eher fahrende, fliegende bzw. schwimmende Computer. Sie sammeln, verarbeiten und teilen fleißig Daten. Und selbst ohne Fahrzeuge hinterlassen wir überall digitale Fußspuren – auch bei unserer Mobilität. Die dabei anfallenden Daten können gezielt analysiert und genutzt werden. Dadurch bewegen wir uns in Zukunft hoffentlich effizienter und umweltfreundlicher fort oder erkennen problematische Bauteile, bevor sie kaputtgehen und einen großen Schaden anrichten. Unser Verkehr lässt sich ebenfalls datengetrieben steuern: angefangen von der „grünen Welle“ für alle Verkehrsteilnehmenden, über eine sinnvoll abgestimmte Taktung von ÖPNV und Fernverkehr, bis hin zu einer möglichst flächendeckenden Versorgung durch Bike-Sharing Stationen. Alle diese Themen hängen von Daten ab. Unabhängig vom Themenfeld gilt, je besser unsere Datenbasis ist, umso besser können wir darin Zusammenhänge erkennen und verstehen. Das hilft dann wiederum dabei, Prozesse besser aufeinander abzustimmen und somit wertvolle Ressourcen einzusparen. Ein weiteres und für die Zukunft höchst interessantes Thema ist die Automatisierung von Prozessen. Im Idealfall führt uns das bis zur Entwicklung autonomer und kooperativer Fortbewegungsmittel wie Lieferdrohnen und selbstfahrenden Fahrzeugen. Es gibt also genügend Baustellen für zukünftige Forschungs-, Berufs- und Tätigkeitsfelder – und dank der großen Menge an Daten wird es in Zukunft sicherlich eher mehr statt weniger Aufgaben in diesem Gebiet geben.
Sie leiten seit dem 15. März 2021 die neue Professur für Big Data Analytics in Transportation an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der TU Dresden. Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, welche Hürden nehmen, um zum Professor berufen werden zu können?
Es gibt nicht „den einen Weg“ zum Professor. Was alle gemein haben, ist ein abgeschlossenes Studium (Bachelor und Master bzw. Diplom). Danach folgt für gewöhnlich die Promotion. Hier ist es wichtig, ein Forschungsthema zu finden, das einen wirklich packt. Denn man ist damit für drei bis fünf Jahre äußerst intensiv – und oftmals auch außerhalb „üblicher“ Arbeitszeiten – beschäftigt. Parallel zur Promotion, oder spätestens in den Jahren danach, kommt dann noch einiges dazu: die Ausarbeitung und Durchführung von Lehrveranstaltungen, die Entwicklung neuer Forschungsideen, regelmäßige Veröffentlichungen und Präsentationen eigener Forschungsergebnisse, die Beantragung finanzieller Förderung der eigenen Forschung, der Aufbau eines nationalen und internationalen Netzwerks, idealerweise auch Auslandserfahrung, die Übernahme diverser administrativer Aufgaben (sowohl an der eigenen Universität als auch in verschiedenen Netzwerken), die Betreuung und Förderung von Nachwuchswissenschaftler*innen, etc. Je umfangreicher das eigene Portfolio ist, umso besser sind die Chancen, während des Bewerbungsverfahrens aus der Masse qualitativ sehr guter Wissenschaftler*innen herauszustechen. Denn bei Bewerbungen auf eine Professur werden für gewöhnlich nur fünf bis zehn Personen zu den Vorstellungsgesprächen eingeladen. Zudem bedarf es auch einer gewissen Flexibilität, da eine Professur in den meisten Fällen auch mit einem Ortswechsel verbunden ist. Zu guter Letzt braucht es sicherlich auch eine ordentliche Portion Glück. Umso schöner, dass alle diese Aspekte bei mir schon einmal erfolgreich zusammengekommen sind.

Forschung am und mit dem Computer: Ob Datenaufbereitung und -analysen, Simulationen, Auswertungen und Berichte oder auch die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen, der Computer ist Pascal Kerschkes wichtigstes Arbeitsinstrument.
Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag eines Professors aus?
Einen ganz normalen bzw. typischen Arbeitstag habe ich nicht. Oft läuft es jedoch so, dass ich morgens zuerst meine Mails lese. Nach dem darauffolgenden Frühstück beginnen meist die ersten Video-Meetings. Das können Gespräche mit anderen Forschenden sein, bei denen wir uns über neue Forschungsideen austauschen, Zwischenstände unserer aktuellen Projekte diskutieren oder die jeweiligen To Do‘s für eine bevorstehende Veröffentlichung abstimmen. Bei anderen Meetings geht es um die Koordination von Aktivitäten innerhalb von Netzwerken oder es sind einfach Kennenlern-Meetings mit potenziellen Kooperationspartner*innen aus Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft. (Übrigens: die meisten Meetings mit anderen Forschenden fanden auch vor Corona per Video statt, da die Beteiligten oft in der ganzen Welt verteilt sind.)
Weiter geht es dann z. B. mit Vorbereitungen auf meine Vorlesungen (wie Inhalte recherchieren oder Grafiken und Vorlesungsfolien erstellen), die Forschungsergebnisse anderer Wissenschaftler*innen lesen oder mich mit meinem Team an der Professur besprechen. Danach stehen die nächsten Meetings an, z. B. auch mit Studierenden, die eine Seminar- oder Abschlussarbeit bei mir schreiben. Nach dem Meeting-Teil geht es oft zurück an die Vorlesungsvorbereitung. Momentan werden wegen Corona alle unsere Vorlesungen digitalisiert, sodass ich diese zunächst aufnehmen und anschließend zuschneiden muss. Oft benötigt man dafür ein Vielfaches der Dauer einer „klassischen“ Vorlesung.
Wofür zeichnen Sie in Ihrer jetzigen Position verantwortlich?
Man trägt die Verantwortung für (fast) alles, was an der Professur passiert: angefangen bei der Gestaltung der Lehrveranstaltungen sowie der Forschungsausrichtung meiner Promovenden, über die Finanzierung und Vernetzung der Professur, bis hin zur individuellen als auch gemeinschaftlichen Förderung des gesamten Teams.
Sie waren vor wenigen Jahren selbst noch Student. Welchen Rat und welche Tipps haben Sie für Ihre zukünftigen Studierenden?
Überlegt Euch vor dem Studium gut, worauf Ihr wirklich Lust habt. Was sind Themen, die Euch besonders Spaß machen?! Es sollte dabei nicht in erster Linie um den späteren Verdienst gehen, denn bis zum Job sind es noch einige Jahre und da kann noch viel passieren. Falls Ihr Fächer wie Mathematik und Informatik toll findet, Euch für praktische Anwendungen interessiert und eventuell den Wunsch habt, die Welt ein wenig besser zu machen, dann könnte ein Studium in Verkehrswirtschaft oder Verkehrsingenieurwesen eine vielversprechende Option sein. Während des Studiums hat es mir sehr geholfen, viel mit anderen Studierenden zu interagieren. Gemeinsam lernt es sich einfach besser – und etwas Ablenkung vom Uni-Alltag braucht jeder und jede mal. Außerdem empfehle ich, sich auch etwas zu trauen! Viele Studierende stehen sich selbst im Weg, weil sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen oder zu tun.
Was mögen Sie mehr, Forschung oder Lehre?
Beides hat seinen Reiz. An der Forschung fasziniert mich, mit eigenen Experimenten und Studien dazu beizutragen, dass wir immer mehr Zusammenhänge verstehen, bestimmte Prozesse effizienter machen oder neue Technologien und Algorithmen entwickeln können. Besonders toll ist es, ein weitestgehend unerforschtes Themengebiet zu untersuchen, das dann von anderen Forschenden aufgegriffen wird – das hat dann fast schon etwas von Christoph Kolumbus und Co. (lacht) Der Reiz an der Lehre ist, dass man aus seinem „Forschungs-Elfenbeinturm“ raus muss, um den Studierenden die Grundlagen beizubringen. Zugleich lasse ich aktuelle Forschungsthemen mit in meine Lehre einfließen, denn unsere Absolventen sollen mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft in ihre jeweiligen Berufe gehen. Außerdem möchte ich dem noch oft gepflegten Klischee der „verstaubten Uni“, in der Vorlesungen in großen, alten und überfüllten Hörsälen vor gelangweilten Studierenden stattfinden, entgegenwirken.
Was möchten Sie Ihren Studenten mit auf den Weg geben?
Macht das, was Euch Spaß macht, und macht das dann mit viel Enthusiasmus. Bei der Gelegenheit möchte ich auch einen kleinen Appell an die Nachwuchswissenschaftlerinnen loswerden: Traut Euch mehr zu! Ich würde mich sehr freuen, einen größeren Anteil an Frauen in meinen Tätigkeitsfeldern zu sehen. Auf internationaler Ebene klappt das mittlerweile ganz gut, aber in Deutschland haben wir noch großen Nachholbedarf – insbesondere in Fächern wie der Informatik.
Es gibt ja so einige Professoren-„Klischees“. Welche(s) bedienen Sie?
(Lacht) Nicht als Professor, eher als Informatiker: Da erfülle ich gelegentlich das Klischee, im dunklen Raum vor meinem Rechner zu sitzen.
Wobei entspannen Sie nach der Arbeit?
Aktuell bei frischer Luft und etwas Sport. Wenn es die Zeit zulässt, unternehme ich gern längere Radtouren oder schalte bei einem gemütlichen Fernseh-Abend ab. Aber das passiert gerade eher selten.
Interview: Steffi Mrosek / Fotos: Andrea Surma – Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List