Schauspieler (m/w/d)
Kuss ist nicht gleich Kuss
Zum Traumberuf Schauspieler gehören Zähigkeit und ungeheure Wandlungsfähigkeit
3 Minuten und 3 Sekunden dauerte der längste Filmkuss aller Zeiten. Die dauerküssenden Akteure waren Jane Wyman, Ronald Reagans erste Ehefrau, und Regis Toomey im 1940 abgedrehten Streifen „You’re in the Army now“. Wie lange sie für diese rekordbringende Szene proben mussten, ehe sie „im Kasten“ war, wollen wir uns gar nicht erst vorstellen. Denn Kuss ist nicht gleich Kuss.
Was ihre Filmküsse betrifft, sie denkt dabei an alles andere, nur nicht an den Kuss. Schon gar nicht an ihren Partner. Sie denkt: Drückt er jetzt meine Nase platt? Stehe ich im richtigen Winkel zur Kamera? Verflixt, er soll mir doch nicht in die Locken greifen! Keine Romantik, keine Schmetterlinge, harte Arbeit.
Die sechsundzwanzigjährige Schauspielerin Eva-Maria Grein spielt die Hauptrolle in der Telenovela „Tessa – Leben für die Liebe“. Es ist ihre erste Filmrolle.
Die zurückhaltende Darstellerin entspricht so gar nicht dem Klischee der extrovertierten, launischen Filmdiva. Zwischen zwei Szenen entspannt sie in der Kantine bei einem Orangensaft, die langen Haare auf große Wickler gedreht.
Es sei wie ein Traum, hier arbeiten zu dürfen, sagt sie. Eva-Maria gehörte nie zu jenen Mädchen, die in der ersten Klasse schon wissen, dass sie Schauspielerin werden. Sie wollte tanzen. Sie lernte klassisches Ballett, später Modern- und Jazzdance und entschied sich nach dem Abitur für eine Ausbildung als Musical-Darstellerin. Es folgten Engagements in München, Erfurt und Berlin. Sie sang und tanzte in der „West Side Story“, in „City of Angels“ und „Swinging Berlin“.
Wie viele ihrer Kollegen arbeitet sie frei. Das bedeutet zeitliche Verträge, für ein Engagement, eine Spielzeit oder ein Filmprojekt wie „Tessa“. Zwar kümmert sich ihr Agent um neue Rollen, doch bleibt da immer eine Spur Unsicherheit, wie es weiter geht. „Mal sehen, was das Leben mir als nächstes vor die Füße wirft“, sagt sie. Klingt eher gelassen. Doch sie hat einen ehrgeizigen Wunsch. Es soll nicht bei „Tessa“ und den perfekten Filmküssen bleiben. „Ich möchte einmal einen widerspruchsvollen, streitbaren Charakter spielen.“
Das Charakterfach, so der Name für jene anspruchsvollen Rollen, verlangt einem Schauspieler alles an Sensibilität, Einfühlungsvermögen, mimischen und gestischen Können ab. Vor einer solchen Rolle muss ein Darsteller im Selbststudium nicht nur seine Texte lernen, es kommt vor allem darauf an, sich tief in die Figur hinein zu arbeiten. Er muss sich mit ihrem historischen und gesellschaftlichen Umfeld auseinandersetzen und dann in der Lage sein, die Figur aus seiner eigenen Erfahrung heraus glaubhaft darzustellen.
Mancher meint, dass ein Schauspieler am Set steht und nur die Anweisungen des Regisseurs erwartet. Das ist nicht so. Der kreative Part dieses Berufes besteht darin, die eigene Interpretation der Rolle mit dem Regisseur zu erarbeiten und anschließend gemeinsam mit der Crew umzusetzen. Die Entstehung eines Films ist ein Prozess, ein Kunstwerk, zu dem alle Beteiligten beitragen. In den zwei Jahren seit dem Studium hat Eva-Maria Grein die Licht und Schattenseiten ihres Berufes schon erlebt: Stürmischen Applaus im Theater, Fanpost an „Tessa“, das Leben aus dem Koffer in möblierten Zimmern und weiter ziehen, an andere Orte, die Erschöpfung nach langen Drehtagen. „Man verzichtet praktisch auf sein Privatleben“, sagt sie. Eine gute körperliche Kondition gehört zum Job. Die Pause ist zu Ende. Eva-Maria Grein muss zurück ins Studio. Lockenwickler raus, ein anderes Kostüm, das Haar gebürstet, frisches Puder, ein Lächeln, volle Konzentration.
Text: Kathrin Schrader; Fotos: ZDF Christoph Assmann/Thomas Ernst