Schriftsteller (m/w/d)
Das Doppelleben des André M.
Wer Schriftsteller (m/w/d) werden will, muss die Einsamkeit lieben
Punkt 8:30 verlässt der Unbekannte seine Wohnung. Unter dem Arm trägt er einen AlphaSmart 3000.
8:40 Der Unbekannte erreicht sein Büro.
Bis 9:02 sitzt er an seinem Schreibtisch. Er starrt auf die Tastatur.
9:03 Der Unbekannte ist spurlos verschwunden. Er wurde von seinem AlphaSmart absorbiert.
Emily und die drei Jungen sind unterwegs zu Dr. Wakefield, der die Wunden versorgt, die ihr der Drache zugefügt hat. Die drei Jungen werden später an den Tatort im Wald zurückkehren, um das Rätsel des Drachen zu lösen, der eigentlich ein Papagei ist und sie werden begreifen, dass es kein Zufall war, dass die kleine Emily angegriffen wurde und …
… und? Nichts.
9:50 Der Unbekannte blickt ins Leere, muss sich erst orientieren. Vor einer Sekunde hat ihn der AlphaSmart wieder ausgespuckt. Er möchte den drei Jungen weiter durch den Wald folgen … nur wie?
Hardcorefans kennen die Szenen aus „Das Auge des Drachen“ auswendig und haben den Unbekannten längst enttarnt: Es ist André Marx, einer der vier deutschen „drei ???“-Autoren.
Von der Willkür seines Schreibcomputers AlphaSmart 3000 abgesehen, der ihn ohne Vorwarnung in die Geschichte saugt und ebenso unberechenbar wieder hinaus wirft, bietet der Alltag eines Autors von draußen betrachtet nicht viel Aufregung.
Dieses Hin und Her ist keinesfalls so spannend wie die Geschichten, die am Ende dabei heraus kommen. An manchen Tagen ist ein Schriftsteller erschöpft, obwohl er scheinbar nur tatenlos vor der Schreibmaschine saß.
Nach dem einsamen Ringen um die Geschichte und den Charakter der Figuren, nach stundenlangem Feilen an der Sprache kommt das Feedback der Fans.
Gnadenlos kritisch wird jeder neue „drei ???“-Band auf der Internet-Plattform debattiert. Wehe, der Autor hat die Schuhgröße von Tante Mathilda verwechselt oder noch schlimmer: Den Charakter von Justus, Peter oder Bob an irgendeiner Stelle ungenau gezeichnet.
André Marx vorerst letzter „drei ???“-Band, die Trilogie mit dem Titel „Feuermond“, erscheint am 12. September 2005. Schon in der Schulzeit hat er Abenteuergeschichten geschrieben, später ein Kinderbuch. Mitte der neunziger Jahre, da studierte er gerade, kam das „drei ???“-Revival mit gemeinsamen nächtlichen Hörbuch-Partys. Und weil André die „drei ???“ immer geliebt hat, beschloss er, auch mal einen Band zu schreiben.
Als das Buch in die Läden kam, drehte der erfolgreiche Autor der Uni den Rücken und entschied, Schriftsteller zu werden.
Zwei bis drei Seiten pro Tag, wenn der Abgabetermin näher rückt, auch fünf bis sechs. 25 Bände in acht Jahren – ist er ein Künstler oder Dienstleister?
„Als Künstler fühle ich mich nicht“, sagt André. „Aber wenn ich in einer kreativen Krise stecke, wird mir klar, dass meine Arbeit mehr als eine Dienstleistung ist.“
Der Job erfordert eiserne Disziplin. Und wenn die Ideen mal ausbleiben, hilft nur eines: Schreiben! Irgendetwas. Eine Idee. Gedanken. Szenen. Der rote Faden kommt. André weiß, dass er sich auf seine Fantasie verlassen kann. Am Anfang steckt in seinem Kopf mitunter nicht mehr als eine Szene vom Anfang oder Ende. Manchmal hat er nur die Auflösung der Geschichte. Der Weg dahin muss dann erarbeitet werden. Mitunter kommt eine Anregung von Freunden. Abends, bei einem Glas Bitter Lemon.
„Traumjob insofern, als ich nicht weiß, was mir mehr Spaß machen würde“, sagt André. „Aber eine leichte Arbeit ist es nicht.“
Zur Abwechslung und weil er jetzt ein paar Wochen Zeit hat bis zum nächsten Band, arbeitet André an einem eigenen Buch. „Das wird aber kein Kinderbuch“, verrät er. Wir sind gespannt.
Text & Fotos: Kathrin Schrader