Tourismusmanager (m/w/d)
Die ganze Welt nach Sachsen locken
Andrea Kis studierte Tourismusmanagement und setzt sich für optimale touristische Bedingungen im Freistaat ein
„Einen Moment noch“, ruft Andrea Kis und verschwindet im Büro ihres Chefs. Letzte Details für den Geschäftsbericht des Landestourismusverbandes Sachsen sind abzustimmen, bevor sie reden kann. Reden über ihren Weg, der ein ganz anderer hätte sein können. Wenn es die DDR noch gäbe. Dann wäre die 40-Jährige wohl nie Tourismusmanagerin geworden. Der Kern ihres Jobs: Sachsen für Touristen attraktiv machen und gute Bedingungen für touristische Anbieter schaffen – für Städte und Gemeinden, Hotels und Gaststätten. Andrea Kis berät Verbandsmitglieder und macht klassische Lobbyarbeit. Kein Tag ähnle dem anderen, sagt sie. Einmal die Woche berät sie mit Kollegen aktuelle politische Entwicklungen. Stehen neue Gesetze zur Fördermittelvergabe an Tourismusanbieter bevor, prüft sie diese, stimmt sich mit den Verbandsmitgliedern ab und schreibt schließlich eine Stellungnahme an das Sächsische Wirtschaftsministerium. „Denn der Freistaat hat eine Tourismusstrategie, und wir achten darauf, dass er möglichst alle Bedürfnisse
im Blick hat. Wir begründen dann, warum wir einzelne Regelungen gut finden oder nicht.“ Nebenbei hat sie gerade eine Broschüre mitgestaltet, die die Bedeutung des Tourismus in Sachsen anhand von Wirtschaftsdaten wie Übernachtungen und Umsätze zeigt. Nächste Woche wird sie darüber einen Vortrag halten. Jetzt hat sie noch zwei Stunden Zeit, bevor der Zug nach Berlin geht. Ein Gespräch im Bundestag über die Entwicklung im ländlichen Raum und das Problem Fachkräftemangel steht an. Wenn sie zurück ist, wird sie mit dem Wirtschaftsministerium über ein ähnliches Thema beraten. Wer diesen Job machen will, muss gern mit Menschen zu tun haben. Aber woher kommt diese Begeisterung für Tourismus?
Als sie in den 1980ern in der DDR zur Schule geht, bedeutet Reisen für die Meisten: Osterzgebirge, Ostsee oder Ostblock. Der Westen ist tabu. Weil ihr Vater aus Ungarn in die Lausitz kam, fährt die Familie oft in dessen Heimat. Andrea spürt dort ein bisschen mehr Freiheit. Jene Ungarn, die es sich leisten können, dürfen überall hin. Es hänge ihr bis heute nach. „Als Kind hat mich das beeindruckt und eine Sehnsucht ausgelöst“, erklärt sie. Kurz vor dem Abitur fällt die Mauer. Aus Sehnsucht werden Möglichkeiten. „Der Drang zu Reisen hat die Wende eingeleitet“, ist sie überzeugt. „Die Menschen wollten einfach mal raus.“
Die Fachhochschule Zittau-Görlitz bietet als eine der ersten den Studiengang Tourismusmanagement an. „Das war richtig gut aufgebaut“, erinnert sich Andrea. „Man konnte nicht nur gut Fremdsprachen lernen, so gibt es die Wahl zwischen Russisch, Tschechisch, Polnisch, Italienisch, Französisch oder Spanisch, vor allem stehen für erste Berufserfahrungen Praktikumsplätze in großen Hotelketten, bei Reiseveranstaltern oder Tourismusverbänden zur Verfügung. Der Hochschulbetrieb ist auf Praxisbezug getrimmt. Theoretische Fächer wie Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre wechseln sich mit praktischen Seminaren ab. Die Professorin habe den Ehrgeiz gehabt, regionale Projekte zu bearbeiten. So entsteht ein Konzept, die Lausitz als Reiseziel für Fahrradfans zu entwickeln. „Da braucht es eine gute Marktforschung“, weiß Andrea. Die Voraussetzungen seien da: tolle Radwege, schöne Natur. Aber für welche Zielgruppen? Was soll zur neuen Radreiseregion gehören? Die historischen Umgebindehäuser? Vielleicht als Restaurants, Hotels oder Theater. Wie viel Infrastruktur muss der Freistaat Sachsen schaffen, der auch für Radwege und Straßen zuständig ist.
Andreas Augen leuchten, während sie spricht.
Die Schönheit Sachsens zu vermitteln, ist bis heute ihr Thema. In Diskussionen im Bundestag oder bei Konferenzen. Im Kontakt mit ausländischen
Institutionen hilft es, dass sie neben Deutsch auch Englisch, Russisch und Ungarisch spricht. Letzteres öffnet ihr vor allem in der Heimat des Vaters Tür und Tor. Die einst unerreichbare Welt hat sie längst bereist. Während ihre Kommilitonen bei Fluglinien, in Hotels oder bei der Bahn arbeiten, ist für Andrea heute die Heimatregion das Wichtigste.
Bei aller Begeisterung für den Job: Es gibt auch Rückschläge. Die in Dresden jetzt geltende Kurtaxe findet Andrea problematisch. Nur der Hotelgast müsse die Gebühr zahlen, obwohl viele Branchen vom Tourismus profitieren, wie Handel und Gastronomie. In die Geschäfte im Dresdner Zentrum fließen gut 20 Prozent des Geldes, das Besucher in Dresden lassen, sagt sie.
Text & Fotos: Tobias Wolf