Toxikologe (m/w/d), Studium
Die Wächter der Giftküche
Toxikologen (m/w/d) arbeiten mit Fingerspitzengefühl und akribischer Genauigkeit
Ein kauziger alter Mann hockt in seinem Kellerlabor vor einer Feuerstelle. Die Wände sind voller astrologischer Karten, in den Flaschen auf den Regalen dümpeln schale Flüssigkeiten und eingelegte Eingeweide aller möglichen Lebewesen. Mit seinen knorrigen Fingern umfasst der wundersame Alte einen zepterartigen Stab, tunkt ihn in einen dampfenden Kessel und rührt. Was immer er in diesen Kessel wirft, löst sich auf, verschwindet auf Nimmerwiedersehen, denn er hat es gefunden, das Universal-Lösungsmittel Alkahest, den alchimistischen „Stein der Weisen“.
So oder ähnlich stellt sie sich uns in der mehr oder weniger anspruchsvollen Literatur dar, die mittelalterliche Alchimie. Mystische Geheimforscher züchten Hommunculi in okkulten Experimenten, wenn die Sterne Erfolg versprechen. Erscheint auch heute die mystische Personifizierung alchimistischer Substanzen als unwissenschaftlicher Aberglaube, so sind die alchimistischen Theorien doch ein wichtiges Bindeglied zwischen Naturphilosophie und späterer Naturwissenschaft. Die Alchimie ist tatsächlich eine wichtige Grundlage heutiger Medizin und Pharmakologie. Der als Arzt bekannte Paracelsus, selbst noch Alchimist, Astrologe, Mystiker und Philosoph gilt als Wegbereiter der heutigen Giftkunde: der Toxikologie. „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, so postulierte Paracelsus vor 500 Jahren. Er war zwar nicht im heutigen Sinne ein Toxikologe, doch seine disziplinübergreifenden Forschungen sind ein Vorbild für diese Wissenschaft, die eigentlich keine eigenständige ist, jedoch in allen Teilgebieten gebraucht wird.
Sicherheitswissenschaftler in allen Disziplinen
Heutzutage steht ein Toxikologe natürlich nicht mehr mit astrologischer Unterstützung und magischen Formeln in einer brodelnden Giftküche. Mit Kittel, Mundschutz, Handschuhen und moderner Schutzbrille ausgestattet, experimentiert er im künstlichen Licht des Labors und muss mit Sorgfalt und Fingerspitzengefühl hochsensible Geräte bedienen. Komplexe Versuchsreihen werden geplant, umgesetzt, dokumentiert und wissenschaftlich ausgewertet und für die Fachwelt aufbereitet. Toxikologen verbringen ebenso viel Zeit am Schreibtisch wie im Labor. Sie publizieren Studien, halten Fachvorträge und führen auch Lehrveranstaltungen und Prüfungen an Hochschulen durch.
Toxikologen/innen aller Disziplinen arbeiten hinter verschlossenen Türen mit akribischer Genauigkeit und teilen sich einem ausgewählten Fachpublikum mit. Denn meist sind sie nicht nur Forscher, sondern Gutachter in gesellschaftlich oder rechtlich heiklen Fragen. Sie bestimmen Richtwerte für Umweltbelastungen und Nahrungsmittelinhalte, überprüfen Industriechemikalien oder untersuchen Produkte des täglichen Bedarfs auf mögliche Schadstoffe. Und sie liefern die fachübergreifende Arbeit zwischen Disziplinen wie Chemie, Biologie, Pharmakologie und Biochemie.
Das Berufsbild hat sich erst in den letzten Jahrzehnten von der Giftkunde zur Sicherheitswissenschaft gewandelt. Waren Toxikologen/innen zunächst für die Erkennung und Behandlung von Vergiftungen zuständig, geht es inzwischen um neue Substanzen, die auch in geringen Dosen eine schleichende Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt darstellen. Somit werden Grenzwerte, Langzeitstudien und Prognosen verlangt. Die noch relativ junge Gentechnik ist ebenfalls ein Fachgebiet für Toxikologen/innen. Und noch etwas ändert sich in der naturwissenschaftlichen Forschung: Man ist immer weniger auf Tierversuche angewiesen, da Computermodelle und biochemische Simulationsalternativen zur Verfügung stehen.
Text: Christine Sylvester; Foto: Lisa F. Young/Uladzimir Bakunovich (fotolia.com)