Zimmerer (m/w/d)
Tippel-Brüder
Christian, Andreas und Konrad – drei Zimmerer auf Walz
Sie sind euch sicher schon mal aufgefallen, in ihrer zünftigen Kluft, mit schwarzem Hut, Staude, Weste, der mit Knöpfen besetzten Jacke, der feschen, weiten Schlaghose, dem abgefahrenem Ohrring im linken Ohr, dem Bündel oder besser Charlottenburger und dem Stock, Stenz genannt? Das waren keine durchgeknallten Cowboys! Ihr hattet Gesellen aus einem traditionellen Bauhandwerksberuf also einen Zimmerer, Dachdecker, Tischler oder Maurer auf der „Walz“ vor euch! Ihr Aussehen verrät noch viel mehr: Sie gehören einer Gesellen- oder Zunftvereinigung an und praktizieren eine bis ins Mittelalter reichende Tradition.
Sie „tippeln“ 2 oder 3 Jahre und einen Tag – je nach Zunft – kreuz und quer durch die Welt, um Berufserfahrungen zu sammeln und auch weiterzugeben, fremde Länder, Bräuche und Menschen kennen zu lernen. „Seinen Horizont erweitern“, bringt Christian Purncker es auf den Punkt. Christian und seine Walzbrüder Andreas Haselhoff und Konrad Mehlhorn – gelernte Zimmerer – sind inzwischen sogenannte „Einheimische“ – sie kehrten vor einem reichlichen Jahr von ihren Wanderjahren zurück. Auf allen fünf Kontinenten fanden sie neue Freunde, hinterließen professionelle Handarbeit, erlebten Kameradschaft und Abenteuer und – keinesfalls zu vergessen – feierten nicht nur Richtfeste. Zur Zeit absolvieren sie ihre Zimmerer-Meisterausbildung im ÜAZ Bautzen.
Die drei berichteten mir Erstaunliches über das zünftige Reisen:
Nach ihrer Aspirantenzeit, in der sie „gefilzt“ wurden – die Gesellenschaft prüft die persönliche Eignung eines jeden zukünftigen fahrenden Gesellen – schlossen sie sich den „Freien Vogtländern“ an. Sie gaben ihr Wort, auf Lebenszeit die Bräuche und strengen Regeln dieser Gesellenvereinigung einzuhalten. Das erfordert eine Menge Disziplin jedes einzelnen, garantiert aber den festen Zusammenhalt dieser Gemeinschaft. Die Walz dauert bei den Freien Vogtländern zwei Jahre und einen Tag. In dieser Zeit dürfen sie sich ihrem Heimatort nicht mehr als 50 km nähern. Bevor sie den Charlottenburger mit ihrem Hab und Gut; Arbeitszeug, Unterwäsche, Hemden, Wasch- und Schuhzeug schnüren können, um ihre Wanderjahre zu beginnen, müssen sie einige Bedingungen erfüllen.
Schuldenfrei und ungebunden muss man sein, seine Lehre abgeschlossen haben, also Geselle sein, man darf nicht älter als 30 und nicht vorbestraft – also ehrbar sein. In ihrem Wanderbuch, das jede Arbeitsstelle dokumentiert, klebt ein 5erSchein – jetzt sind das 5 Euro – auch „Heiermann“ genannt. Mit diesen 5 Euro beginnt man seine Wanderjahre und sollte sie auch beenden. Denn es ist verpönt, Reichtümer anzusammeln oder für das Reisen Geld auszugeben. Alles, was man unterwegs verdient, fließt in den eigenen Unterhalt, sprich Essen, Trinken und Ersatzkleidung. So bewegt man sich halt trampend und „tippelnd“ durch die Lande, zieht von Ort zu Ort. „Man sollte nicht länger als sechs Wochen an einem Ort bleiben. Wenn die Hunde nicht mehr bellen und die Leute einen grüßen, dann ist es Zeit weiter zu ziehen.“, so die drei. Also auf zu neuen Abenteuern. Bei Krautern (Arbeitgebern) anklopfen und seinen Spruch aufsagen und so um Arbeit, Unterkunft und Essen zu bitten – oder wie es in der Zunftsprache heißt sich „schmal machen“. Apropos die Sprüche: „Diese werden von den Altreisenden an den Jungreisenden während der ersten Wandertage übermittelt.
Sie ermöglichen ihnen das Vorsprechen bei Meistern, Bürgermeistern oder bspw. Bäckern. Die Reisenden haben über diese Stillschweigen zu wahren um Missbrauch auszuschließen. Von daher ist das Vorsprechen ein sehr alter wichtiger Teil der Tradition aller reisenden Gewerke“, teilten mir die drei Walzbrüder auf meine scheinbar allzu neugierige Anfrage danach mit. Tja, Pech gehabt!
Eigentlich könnte man stundenlang Konrad, Andreas und Christian zuhören. Es ist wahnsinnig spannend und faszinierend mehr über die Walzbrüder, das Zunftwesen und das zünftige Reisen zu erfahren. Was vermisst man auf den Reisen am meisten? Kann man sein Handy mitnehmen? Was ist eigentlich „Schallern“, „Klatschen“, „Fassschmoren“, „Trudeln“, „Rundschnack“ oder „Gänsemarsch“? Wie viele Gesellenschaften gibt es? Wo erfahre ich mehr? Ich kann euch nur eins raten, solltet ihr auch neugierig geworden sein: Wenn ihr das nächste mal Gesellen auf der Walz seht, traut euch, sprecht sie an, fragt sie aus und lasst euch von der großen weiten Welt berichten!
Text & Fotos: Steffi Mrosek