Viele Jugendliche, die kurz vor dem Schulabschluss stehen, fühlen sich verloren – zu groß und unübersichtlich ist die Auswahl an Möglichkeiten für das „Danach“. Claudia Bothe arbeitet im Rahmen des Projektes „Studifit – Studieren lernen fürs Leben“ als Mitarbeiterin für Studienorientierung an der HTWK Leipzig. Im Interview erzählt sie, inwiefern sie Schülern helfen kann, wo Probleme lauern könnten und dass auch Selbstinitiative gefragt ist.
Was genau bedeutet Studienorientierung?
Studienorientierung bedeutet, interessierte Schüler bei der Wahl des Studiengangs zu unterstützen und Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten zu geben. Wir haben in Deutschland mehr als 20.000 Studienmöglichkeiten. Verständlich, dass die Jugendlichen überfordert sind.
Mit vielfältigen Angeboten geben wir einen Überblick über verschiedene Studiengänge, ermöglichen realistische und konkrete Einblicke in einzelne Fachrichtungen. So bieten wir beispielsweise Projekttage an, an denen Schulklassen die HTWK Leipzig kennenlernen und in unterschiedliche Studiengänge schnuppern können.
Mit der Studienorientierung möchten wir Schüler dabei unterstützen, ihre eigene Entscheidung durch ein gutes Wissensfundament bewusst treffen zu können. Sie sollen im besten Fall ihre eigene Situation, ihre Kompetenzen, ihre Vorstellungen kennen und diese mit den Voraussetzungen oder den Inhalten des Studienfachs abgleichen können – „Passen wir voraussichtlich zusammen?“ oder „Was erwartet mich an der Hochschule?“.
Haben denn wirklich so viele Schüler „keinen Plan“ davon, welchen Weg sie nach der Schule gehen möchten?
Unsere Erfahrungen und auch die Rückmeldung unserer Partnerschulen zeigen, dass ein Großteil noch unsicher ist oder nicht weiß, was er machen möchte. Teilweise gibt es schon Ideen, diese greifen aber meist auf bekannte Studiengänge zurück; vieles ist noch gar nicht bekannt und wurde deshalb bisher noch nicht berücksichtigt.
Weshalb ist es denn so wichtig, einen Plan für das „Danach“ zu haben?
Viele Schüler haben ja schon gewisse Erwartungen, wie ihr späteres Leben aussehen sollte oder welche Rahmenbedingungen sie anstreben. Wichtige Fragen hierbei wären: Sind diese Erwartungen realistisch? Was muss ich hierfür machen? Von welchen Kriterien hängt dies ab? Welche Entscheidungen muss ich dafür treffen?
Und die Hochschule möchte natürlich, dass so wenige Immatrikulierte wie möglich ihr Studium abbrechen, was dann gewährleistet sein kann, wenn sie möglichst gut über ihren Studiengang informiert sind und wissen, was auf sie zukommt.
Das heißt nicht, dass der Plan immer perfekt funktioniert – auch Umwege können hilfreich sein, wichtige Erfahrungen zu sammeln. Dennoch sollte man, wenn möglich, nicht planlos in die Zeit nach der Schule starten, sondern sich über einzelne Möglichkeiten gut informieren.
Ab wann sollten die Jugendlichen denn spätestens einen Plan haben?
Hier gibt es meiner Meinung nach kein fixes Datum. Viele Infos und Überlegungen laufen ja auch schon nebenbei, ohne dass man es konkret plant. Dabei spielen Punkte eine Rolle wie: Was machen die Eltern? Was erzählen Onkel und Tante oder der ältere Cousin beim Familientreffen? Welchen Beruf lernt man durch Zufall bei einer Doku kennen?
Natürlich, je früher die Schüler Informationen sammeln, desto besser – doch zu spät ist es nie.
Sinnvoll ist es sicher, ab der neunten oder zehnten Klasse mit dem Thema einzusteigen und sich verschiedene Bereiche einfach mal anzuschauen. Je mehr Einblicke man mit der Zeit bekommt, desto mehr kann man Stück für Stück sagen: „Das könnte mir gefallen – das passt gar nicht zu mir“ – und so immer ein wenig weiterkommen. Jeder kann sich ja herauspicken, welcher Infokanal ihm am meisten zusagt: der Tag der offenen Tür an der Hochschule, Online-Videos über Studiengänge, Gespräche mit Studierenden, Orientierungstests usw.
Und wie hilfst Du dabei, „diesen Plan“ zu finden?
Wir versuchen, an der Hochschule einen praxisnahen Einblick in die Studiengänge zu geben. Einige Studiengänge sind zum Beispiel gar nicht bekannt und ernten nach einer Studiengangspräsentation viele positive Rückmeldungen. Dann sagen Schüler manchmal: „Wow, ein sehr spannender Studiengang – kannte ich bisher noch nicht, könnte ich mir aber jetzt durchaus vorstellen!“ Andere sagen auch: „Oh, unter BWL habe ich mir eigentlich was ganz anderes vorgestellt.“ Auch diese Erkenntnisse sind wichtig und hilfreich.
Wir wollen die Vielzahl von Möglichkeiten vorstellen und Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven mit auf den Weg geben. Nicht jeden Menschen interessiert alles, aber für den einen sind die Infos aus der Sicht eines Studierenden sehr aufschlussreich, für die andere war ein Praxisversuch im Labor total lehrreich, der nächste wiederum hat festgestellt, dass bei Informatik doch viel mehr Mathe vorkommt, als er sich vorgestellt hat.
Wir versuchen, individuelle Fragen zu beantworten und je nach Interesse einzelne Bereiche genauer vorzustellen. Mit den Lehrern sprechen wir die einzelnen Formate detailliert ab und möchten damit die Studieninteressierten da abholen, wo es Sinn und Spaß macht.
Ich finde es vor allem hilfreich, offen und neugierig zu sein, nicht zu sagen: „Okay, am nächsten Freitag kümmere ich mich um meine Zukunft, dann reicht es, mich dem Thema wieder in drei Monaten zu widmen.“
Informationen und Quellen zum Thema Studienorientierung gibt es an so vielen Stellen – und sei es eben, sich zu Beginn in der Familie und im Freundeskreis umzuhören.
Man sollte sich nicht zwingend leiten lassen von der Meinung der Eltern oder anderer Bezugspersonen. Dies ist gut gemeint und muss auch nicht verkehrt sein. Wichtig ist aber, sich selbst gut zu hinterfragen: „Was will ich? Was macht mir Spaß? Wie will ich später arbeiten? Welche Werte sind mir wichtig?“ Dabei sollte etwa das Kriterium „Wie viel Geld verdiene ich?“ nicht das einzige sein.
An die Schüler gerichtet, würde ich sagen: Pickt euch die Variante raus, euch über Studiengänge zu informieren, die euch am meisten Spaß macht und die Fragen beantwortet, die euch beschäftigen. Dies passiert aber nicht von allein – ein wenig Selbstinitiative ist definitiv gefragt, aber es lohnt sich!
Das Interview führte Anja Landmann/Fotos: Slider 1: © Zarya Maxim-stock.adobe.com, Slider 2, 3: © Swen Reichhold,
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