Ralf Methling hat sich der Linguistik verschrieben

Linguist, Dozent und Buchautor Ralf Methling
Herr Methling, bitte stellen Sie sich kurz vor!
Ich bin Ralf Methling, 1989 geboren, aufgewachsen in Königswinter (bei Bonn) und beruflich Dozent sowie Linguist. Seit 2010 wohne ich in den Niederlanden und hier habe ich sowohl Deutsch als Fremdsprache auf Lehramt als auch Germanistische Linguistik studiert.
Sie haben sich der Linguistik verschrieben. Was versteht man unter dieser Wissenschaft?
Die Linguistik untersucht Sprachen. Es geht dabei um ihren Aufbau, die Funktion, ihre historische Entwicklung und unter welchen Bedingungen Sprache funktioniert, wie sie funktioniert. Denn dass Sprache als Kommunikationsmittel ihren Zweck erfüllt, gleicht eigentlich einem Wunder. Wie kommt es, dass Kinder anscheinend wie von selbst eine oder mehrere Sprachen lernen, während Erwachsene sich mit Kursen und Apps zum Sprachenlernen abmühen müssen? Wie funktioniert der Mensch, der Sprache produziert? All das sind Themengebiete und Fragen aus der Linguistik.
Warum sollte man Linguistik studieren?
Für viele ist der Umgang mit Sprache selbstverständlich. Was Silben sind, ist den meisten noch klar, aber kaum einer weiß, dass man Wörter zum Beispiel auch in Phoneme und Morpheme einteilen kann, dass code-switching für jeden von uns wichtig ist, dass wir uns durch framing in der Werbung und auch in den Medien beeinflussen lassen. Ich finde es eigentlich erschreckend, wie wenig die meisten Menschen über das Werkzeug Sprache, das wir täglich verwenden, wissen. Das Linguistikstudium öffnet einem in gewisser Weise die Augen und man versteht besser, was um einen herum geschieht. Vor allem versteht man viel besser, was es bedeutet, eine fremde Sprache zu lernen und was „Integration“ in eine fremde Kultur bedeutet. Denn Sprache ist eng an Kultur gebunden.
Für wen ist das Studium besonders geeignet?
Man sollte ein generelles Interesse an Sprachen haben. Das bedeutet nicht, dass man besonders gut im Fremdsprachenlernen oder eventuell mit mehreren Muttersprachen aufgewachsen sein muss. Allerdings hilft es, wenn man neben Englisch noch eine weitere Sprache sehr gut beherrscht, weil man dann verschiedene theoretische Konzepte aus der Linguistik besser versteht. Eine interessante Kombination ist zum Beispiel Arabisch oder Türkisch und Deutsch, da es zwischen diesen Sprachen einige Unterschiede gibt, die man besser versteht, wenn man sie auch beherrscht. Zudem sollte man nicht vor analytischem Denken zurückschrecken.
Was fasziniert Sie an Sprache?
Wir verwenden Sprache als Mittel zur Kommunikation. Mich fasziniert aber immer wieder, warum es dann so oft zu Missverständnissen kommt. Hat die Natur es nicht geschafft, ein besseres Mittel zur Kommunikation zu entwickeln? Sprache scheint so fehleranfällig zu sein. Wie ist es möglich, dass nach so vielen Jahren Evolution Sprache zu (Ehe-)Kriegen führt und wir uns so oft „nicht verstehen“. Irgendwie hat Sprache etwas Mysteriöses, finde ich. Sie ist so unvollkommen und doch perfekt.
Welche Sprachen sprechen Sie?
Ich habe eine Muttersprache, Deutsch, und beherrsche Niederländisch sowie Englisch. Viele denken, dass man als Sprachwissenschaftler oder Sprachwissenschaftlerin viele Sprachen sprechen müsste, oder ein Talent für Sprachen haben muss. Das ist aber nicht nötig. Es wird genau so viel Sprachtalent wie für andere akademische Studiengänge vorausgesetzt. Also auf jeden Fall Englisch.
Ich habe auf Ihrer Internetseite linguistik.online gelesen, dass Sie besonders das System, das hinter den Sprachen der Welt steckt, interessiert. Das klingt spannend. Was verbindet denn alle ca. 7.000 Sprachen? Und wie finden Sie das heraus, Sie beherrschen ja nur einen Bruchteil davon?
Mit der Frage, was denn alle ca. 7.000 Sprachen der Welt verbindet, treffen Sie genau ins Schwarze. Das ist eine der Fragen, die bis heute ungeklärt sind. Es ist und wird wahrscheinlich auch nie endgültig geklärt werden können, was überhaupt eine Sprache genau ist. In der Forschung gab es vor einiger Zeit den Trend, nach so genannten Sprachuniversalien zu suchen. Das sind Aussagen wie „Alle Sprachen haben mindestens zwei Wortarten: Verben und Substantive“. Aber das hat eher nur zur Erkenntnis geführt, dass Sprachen und die Systeme dahinter sehr unterschiedlich sind.
Allgemein könnte man aber sagen, dass alle Sprachen verbindet, dass es veränderbare Systeme sind, dass Kinder diese Systeme (wie von selbst) erlernen, man den Aufbau mit so genannten Phonemen beschreiben kann. Das klingt jetzt alles sehr abstrakt, aber die Frage „Was verbindet alle Sprachen“ ist genauso komplex wie „Wann ist man ein Mensch“.
In der Linguistik braucht man die Sprachen nicht zu beherrschen, die man untersucht. Sehr viele Sprachen sind mittlerweile dokumentiert und mithilfe von Interlinearglossierung werden Sätze und Strukturen aus der fremden Sprache in eine Art Übersetzung übertragen. Dabei wird auf englische Begriffe zurückgegriffen, aber man muss im Studium noch viel dazulernen, um so eine Interlinearglossierung lesen zu können. Hier ein kurzes Beispiel aus einer Sprache, die Bidjara heißt:
- Original: Naya naNu-na bada-la
- Interlin.: 1.SG 3SG.M-ACC bite-Past
- Englisch: “I bit him”
Woran forschen Sie gerade?
Ich selber forsche aktuell nicht, begleite aber Forschungsarbeiten an der Fachhochschule, an der ich unterrichte. Es geht dabei um Praxisforschung, die Studenten ausführen, um einen Einblick in das Denken und Lernen von Schülern zu bekommen. In meinem Fall geht es dann um Fragen rund um das Thema wie niederländische Schüler im Deutschunterricht denken und lernen.
Linguistik-Studium – auf welche Studieninhalte können sich potenzielle Studenten freuen?
Viele erwarten vielleicht sehr viel Grammatik. Das ist aber eher nicht der Fall. Für alle Studierenden gilt erstmal, dass der Aufbau von Sprachen gelernt werden muss. Das sind die Themengebiete Phonologie, Morphologie, Semantik und Syntax. In der Pragmatik geht es um die Verwendung von Sprache und um Prinzipien der Kommunikation. Das ist aber noch lange nicht alles. Es gibt noch die Soziolinguistik, Computerlinguistik, Psycholinguistik usw. Man wird es nicht schaffen, alle Themengebiete der Linguistik abzudecken und muss sich im Studium auf einzelne Bereiche beschränken.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, wenn man sich für dieses Studium interessiert?
Man sollte sich für Sprachen interessieren und neugierig sein. Nicht zu unterschätzen ist auch das analytische Denkvermögen, das man im Studium benötigt. Je nach Schwerpunkt, den man wählt, ähneln die Inhalte auch dem Mathematikstudium. Natürlich nicht in Bezug auf Rechnen, sondern im analytischen Denken. Die Semantik (Lehre der Bedeutung) überschneidet sich teilweise mit mathematischen Konzepten.
Welche Berufsmöglichkeiten in welchen Bereichen eröffnen sich den Absolventen?
Auf den Webseiten vieler Universitäten wird von den tollen, breit gefächerten Berufsmöglichkeiten geschwärmt. Aber Tätigkeitsgebiete wie „Verbrecher mithilfe von Spracherkennung überführen“ gibt es nur sehr wenige. Einige Studenten werden nach dem Studium promovieren und eine Zeit lang an Universitäten lehren, einige werden dort sogar bleiben. Viele entscheiden sich später für einen Quereinstieg als Deutsch- oder Fremdsprachenlehrer an weiterführenden Schulen. Doch der Wechsel ist nicht ganz ohne. Sehr viele werden nach dem Studium bei Unternehmen arbeiten und administrative Tätigkeiten übernehmen, die wenig mit dem Studium zu tun haben. Einige wenige Studierende können die heißbegehrten Jobs bei Verlagen ergattern.

Ralf Methling erklärt auf YouTube sehr anschaulich linguistische Sachverhalte
Sie betreiben den YouTube-Kanal „Linguistik – einfach einfach“. Welchen Content vermitteln Sie darin?
Auf meinem YouTube-Kanal „Linguistik – einfach einfach“ vermittle ich Lerninhalte aus dem Linguistikstudium so, dass sie jeder versteht. Dabei ist kein Vorwissen nötig und wenn doch, dann ist auch immer das passende Einstiegsvideo verlinkt. Neben Fachwissen für das Studium spreche ich aber auch viele allgemeine Themen an wie „verludert die deutsche Sprache?“ oder „Haben Tiere eine Sprache?“.
Sie sind nicht nur Dozent sondern auch Autor. Im Januar erschien Ihr erstes Buch. Herzlichen Glückwunsch! Wir sind neugierig: Wie heißt es, worum geht es darin?
Vielen Dank! Im Januar 2022 ist mein Buch „Warum die Wörter im Deutschen so lang sind“ im Dudenverlag erschienen. Und genau darum geht es auch. Gibt es Wortmonster wie „Waldblütenbienenhonig” auch in anderen Sprachen? Was ist überhaupt ein Wort? Wie kommen neue Wörter in den Wortschatz? Durch viele Beispiele aus unterschiedlichen Sprachen der Welt lernt man auf unterhaltsame Weise die deutsche Sprache besser kennen. Wie auch für meinen YouTube-Kanal gilt, dass kein (Fach-)Wissen vorausgesetzt wird.
Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg für Ihre Arbeit und Ihre Projekte!
Fotos: Ralf Methling
Linguistik-Studium
Linguisten (m/w/d) erforschen und analysieren die menschliche Sprache, ihre Strukturen, Entstehungsprozesse, Formen und Funktionen. Sie untersuchen, wie sich Sprachen verändern und in welcher Beziehung die verschiedenen Sprachen zueinander stehen oder befassen sich mit der menschlichen Sprachfähigkeit.
Voraussetzungen: allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife oder ein von der zuständigen Stelle des Bundeslandes (z. B. Kultusministerium) als gleichwertig anerkanntes Zeugnis, Kenntnisse in Englisch und/oder in einer zweiten modernen Fremdsprache, Interesse an Sprachen und analytischem Denken
Studium:
Dauer: 6-8 Semester Bachelorstudium; 2-4 Semester Masterstudium
Abschluss: Bachelor bzw. Master of Arts oder Science
Tätigkeitsfelder:
- Marketing
- Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
- Sprachtechnologie
- Übersetzungsarbeit
- Coaching im Bereich Kommunikation
Weiter Infos:
https://www.das-richtige-studieren.de/studiengaenge/linguistik/
https://berufenet.arbeitsagentur.de