Interview mit Expertin Martina Leisten
Bald gehen die Prüfungen los. Schon aufgeregt? Ein bisschen Kribbeln kann nicht schaden. Stress und Angst dagegen sind destruktiv. Aber keine Sorge, sie lassen sich in den Griff bekommen. Wie, verrät Dir Martina Leisten. Die 43-Jährige ist Diplom-Sozialwirtin und zertifizierter systemischer Coach. Sie arbeitet freiberuflich als Life- und Jobcoach und ist Buchautorin. Sie stammt ursprünglich aus dem Rheinland und lebt seit gut 15 Jahren in Berlin. Ihr großer Traum ist ein Leben mit Mann und Mops am Meer.

Martina Leisten weiß, wie man am besten mit selbst verursachtem Druck umgeht
Hatten Sie jemals in Ihrem Leben Prüfungsangst?
Und ob ich die hatte. Interessanterweise kam diese erst in der Oberstufe auf, als wir häufiger Referate halten mussten und die mündlichen Abiturprüfungen anstanden und setzte sich während des Studiums fort. Auch meine öffentlichen Auftritte auf Bühnen oder im TV fühlten sich oft wie Prüfungen an. Mittlerweile bin ich aber routinierter und gelassener geworden. Eine gewisse Portion „Lampenfieber“ gehört aber immer auch dazu.
Wie hat sich die Angst geäußert?
Ich war schon immer kommunikativ und konnte leicht auf andere Menschen zugehen. Aber vor anderen einen Vortrag zu halten oder fachliche Inhalte auf den Punkt zu bringen, brachte mich mehr als nur zum Schwitzen. Meine eigene innere Anspannung und Erwartungshaltung waren teilweise enorm. Bloß keine Fehler machen, mich nicht verhaspeln oder gar ein Blackout kriegen, dachte ich oft. Mein Puls raste, mir wurde schlecht, ich zitterte und die Beine waren wackelig. Zum Glück konnte ich mich aber immer nach ein paar Minuten beruhigen (lassen).
Wie entsteht eigentlich Prüfungsangst?
Prüfungsangst entsteht in unserem Inneren, wenn wir besonders großen Druck von außen verspüren oder wir von uns selbst (zu)viel erwarten. Diese Angst kann durch Leistungsdruck entstehen, wenn beispielsweise die Zeugnisse anstehen und unsere Versetzung zu wackeln droht. Oder die Eltern uns immer wieder daran erinnern, dass aus uns doch etwas Besseres werden soll. Es kann auch Druck erzeugen, dass der Sitznachbar in der Klasse stets schneller ist und besser bei Tests abschneidet.
In uns selbst kann Prüfungsangst durch eigene hohe Erwartungen oder negative Erfahrungen entstehen. Vielleicht wurde man vor der Klasse einmal vorgeführt als der/die, mit der geringsten Punktzahl. Oder man hat gestottert und wurde ausgelacht, als man ein Gedicht vortragen musste. Es kann aber auch sein, dass man generell Lern- und Gedächtnisschwierigkeiten hat. All das kann zu der Angst führen, bei der Prüfung zu versagen.
Was glauben Sie, wie verbreitet ist Prüfungsangst? Wer neigt besonders dazu?
Ich glaube, dass Prüfungsangst sehr stark verbreitet ist, aber zu wenig in der Klasse oder mit den Eltern darüber gesprochen wird. Nachhilfeunterricht allein ist hierbei manchmal nicht ausreichend. Die Ursachen zu erkennen und aufzulösen, halte ich für hilfreicher. Gerade Kinder, die etwas introvertierter oder ängstlicher sind, neigen zu dieser Angst. Sie trauen sich wenig zu und sprechen häufig auch nicht darüber. Sie machen die Angst mit sich selbst aus, wollen alles allein schaffen und scheitern dabei oft. Das Selbstbewusstsein durch positive Erfahrungen und Erfolgserlebnisse zu stärken, ist hierbei ein erster wichtiger Schritt.
Und jetzt die wichtigste Frage: Wie lässt sich dieser Stress vermeiden?
Prüfungssituationen lassen sich im Leben so gut wie nicht vermeiden. Wir können aber lernen, mit ihnen umzugehen. Wenn ich die Ursachen für meine Prüfungsangst kenne, kann ich daran arbeiten. Wenn ich beispielsweise glaube, dass ich nur gemocht werde oder denke erfolgreich werden zu können, wenn ich einen Einserdurchschnitt habe, kann ich mich fragen: „Ist das wirklich wahr?“. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich es auch mit durchschnittlichen Noten sehr weit gebracht habe. Gute Noten und Abschlüsse können Türen öffnen. Was wir aus unserem Leben machen, bestimmen aber eher unsere inneren Werte, Stärken und Charaktereigenschaften.
Wie können wir uns verhalten, wenn ein totaler Blackout droht?
Wer schon einmal einen Blackout erlitten hat, weiß, wie unangenehm sich das anfühlt. Die totale Leere im Kopf, man ist maximal angespannt und möchte sich am liebsten in Luft auflösen. Wenn es doch passiert, hilft Ablenkung. Raus aus der stressigen Gedankenspirale und sich auf etwas anderes konzentrieren. Ob nun mit den Zehen wackeln, bewusst atmen oder aus dem Fenster schauen. Besser noch es offen anzusprechen, wenn man in einer mündlichen Prüfung ist. Sich kurz einen Moment geben, um sich wieder zu sammeln. Die Akzeptanz der Situation ist das Wichtigste. Nicht mehr anzukämpfen gegen die Angst zu versagen. Denn der innere Kampf verstärkt die verkrampfte Situation und der Blackout ist dann der Mechanismus, der uns vor Überforderung schützen soll.
Um gar nicht erst einen Blackout zu erleiden, helfen unterschiedliche Entspannungsübungen vor der Prüfung. Sich beispielsweise vor seinem inneren Auge auszumalen, wie gut die Prüfung gelaufen ist und sich danach zu belohnen, wirkt manchmal Wunder. Oder sich einfach zu fragen: „Was soll schon passieren, wenn es nicht klappt? Werde ich dann wirklich den Löwen zum Fraß vorgeworfen?“
In Ihrem neusten Buch „Under Pressure: Innere Anspannung und selbst gemachten Stress reduzieren in 7 Schritten“, im mvg Verlag erschienen, schreiben Sie „Indem wir aber aktiv die Eigenverantwortung für unser Leben übernehmen, lernen wir, bewusst und eigenmächtig mit Druck umzugehen.“ Erklären Sie uns das bitte an einem Beispiel.
In die Eigenverantwortung zu gehen bedeutet, sich bewusst zu werden, dass man selbst unterschiedlichste Handlungsmöglichkeiten hat, mit Druck umzugehen. Es gibt nicht nur einen Weg zu reagieren. Vielleicht hat man gelernt, dass man, wenn man eine Aufgabe erhält, diese perfekt und schnell erledigen muss und gerät dadurch unter Stress. Sich bewusst zu machen, dass man aber auch anders darauf reagieren kann, ist hierbei die Eigenverantwortung. Muss ich denn immer schnell und perfekt sein oder reicht es nicht auch aus, mir etwas mehr Zeit zu nehmen und vielleicht auch einmal nur 90 % zu geben? Je mehr ich mich frage, was ich selbst will bzw. wie ich mit der Situation umgehen will, umso mehr kann ich aus mir heraus handeln und reagieren. Und lasse mich durch Menschen, die etwas von mir wollen, nicht mehr so leicht stressen. Ich entscheide mich also selbst und bewusst dafür, wie meine Reaktion aussieht, anstatt automatisch zu reagieren.
Vielen Dank für das Interview, die hilfreichen Tipps und Erläuterungen! Alles Gute für Sie Frau Leisten!
Fotos: Martina Leisten