Maßschneider*innen nähen Träume – vom Entwurf bis zum perfekt passenden Kleidungsstück
Antonia Mittmann (Foto) hat lange überlegt, welchen beruflichen Weg sie nach dem Abitur einschlägt. Ob Studium oder Ausbildung? Studium Kostümbild an der Kunsthochschule oder vielleicht doch Irgendwas-mit-Medien? Es sollte auf alle Fälle kein Mainstream-Beruf sein, dem jede*r Zweite nachgeht. Sie absolvierte mehrere Praktika und wusste danach, was sie nicht werden wollte … Doch eines Tages war sie sich ganz sicher: Maßschneiderin! Und sie hatte Glück: Sie ergatterte eine Ausbildungsstelle in Dresden, im Maßatelier Donath.
„Ich war eigentlich immer modebegeistert, aber nie zufrieden mit dem, was es im Laden von der Stange gab. Ich habe mir deshalb meine Sachen oft selbst geändert. Irgendwann dachte ich mir dann, dass es eigentlich cool wäre, mir mein Outfit nach meinen Ideen, nach den neusten Trends und angesagtesten Styles komplett selbst herzustellen.“ Eins fand zum anderen: Warum nicht als Beruf? Einer, bei dem man mit seinen Händen immer wieder Einzigartiges erschaffen und den man von der Pike auf erlernen kann: das Schneiderhandwerk!
Etwas, das perfekt passt
Die Kundschaft im Maßatlier Donath ist ganz unterschiedlich: „Frauen, die sicher im Laden etwas finden würden. Manche aber auch mit außergewöhnlichen Figuren, also oben Konfektionsgröße 36 und unten 40, oder umgedreht.“ Eines eint die Damen allerdings: Sie möchten etwas, dass nach ihren Wünschen und Träumen angefertigt wurde! Etwas das passt und zwar in jeder Hinsicht: der richtige Stil, die richtige Farbe, das richtige Material, die richtige Größe! Den Kundinnen ist natürlich bewusst, dass Individualität und Qualität ihren Preis haben, dass man für 4 EUR in einem Maßatelier kein T-Shirt bekommt. Hier werden hauptsächlich Festmode, Brautkleider, Röcke aber auch Hosen, Fliegen und selbst Mundschutz hergestellt. Meist bringen die Kundinnen den Stoff gleich mit, sie können sich ihn aber auch aus vielen Katalogen mit Stoffpröbchen auswählen. An einem Braut- oder Ballkleid sitzen die emsigen Schneiderinnen mehrere Tage, je nachdem, wie aufwendig es ist.
Von Anfang an saß Antonia an der Nähmaschine, hatte nie Berührungsängste. Respekt hat sie vor dem Zuschneiden, denn da kommt es auf den Millimeter an. „Das wird sich wohl auch nicht verlieren“, weiß sie, „aber das ist gut so, denn das Zuschneiden verlangt immer vollste Aufmerksamkeit.“ Antonia kann jetzt bereits am Ende des ersten Ausbildungsjahres nach einem Schnitt eine komplette Hose oder einen Rock nähen, mit manchen, allerdings noch nicht allen Taschensorten, aber mit Reißverschluss, Ösen, Knöpfen etc. Stolz erzählt sie, dass sie schon ein Leinenkleid und eine nicht ganz einfache Herren-Tangohose mit einem Sattel, vielen Falten und aufwendigen Paspelverzierungen genäht hat. „Die Ausbildung, die sich über drei Jahre erstreckt, ist sehr interessant und gliedert sich in ein Drittel Theorie an der Berufsfachschule und zwei Drittel Praxis hier im Atelier. Unterrichtsfächer sind bspw. Faserkunde, Garne und Zwirne, Warenkunde, Textilveredelung, Schnittkonstruktion, Modezeichnen. Wir erlernen die verschiedenen Nähtechniken mit Hand und von Maschine, die Verarbeitung von Verschlüssen, Falten, speziellen Stoffen, Corsagen, Taschen.“
Ein maßgeschneidertes Traumstück
Antonia erklärt: „Am Anfang findet ein etwa einstündiges Beratungsgespräch statt. Die Kundin erhält von unserer Meisterin und Inhaberin der Maßschneiderei, Frau Donath, eine Typ- und Designberatung, bei der sich gemeinsam zum neuen Outfit, dem Stoff, dem Schnitt, der Farbe und dem Muster abstimmt wird. Skizzen werden entworfen, eine Idee entwickelt.“ Das A und O eines perfekt sitzenden Kleidungsstücks ist das Schnittmuster. Für die Konstruktion eines solchen benötigt man genaue Maßangaben. „Frau Donath nimmt sorgfältig Maß an der Kundin und berechnet einige der Werte zum Teil nach Formeln. Der Schnitt kommt aufs Papier, dieses wird auf den Stoff geheftet und mit Schneiderkreide umfahren. Gegebenenfalls wird dieser Schnitt per Rädel auf die zweite Lage Stoff übertragen. Nach dem Zuschneiden wird der Stoff per Heftgarn mit groben Stichen zusammengenäht oder mit Stecknadeln Linie auf Linie gesteckt. Dann kann das Nähen beginnen – von Maschine, aber auch von Hand.“ Das Kleidungstück wird soweit fertig genäht, dass bei der ersten Anprobe, die individuellen Passformwünsche und die notwendigen Anpassungen aufgenommen und später umgesetzt werden können. Bei bzw. nach der zweiten Anprobe bekommt das Kleidungsstück den Feinschliff.
Am meisten Spaß macht es Antonia, wenn sie mit den letzten Handgriffen das Kleidungsstück vollendet. Meistens sind das Handarbeiten wie Haken, Ösen, Knopflöcher anbringen und das in Form bügeln. Antonia: „Als Laie habe ich völlig unterschätzt, wie sehr ich das Bügeln lieben lernen werde und vor allem wie häufig ich es nutze.“ Sehr mag sie auch die fast meditative Ruhe bei der Arbeit, dass sich komplett im Schaffensprozess verlieren. Und noch etwas hat es ihr angetan: Die glücklichen Gesichter der zufriedenen, stolzen Kundinnen, wenn sie mit ihrem Traum in Stoff vorm Anprobespiegel stehen!
Text & Fotos: Steffi Mrosek
Maßschneider*innen mit der Fachrichtung Damen oder Herren fertigen individuell nach Kundenwünschen Bekleidung wie Festmode, Brautkleider, Blusen, Röcke, Hosen, Mäntel, Jacken. Auch das Ändern von Textilien gehört dazu. Sie arbeiten in Schneidereien, Theaterwerkstätten, Kaufhäusern und Boutiquen.
Perspektiven: Meisterausbildung, Selbstständigkeit mit eigener Werkstatt, Kostüm-, Gewandmeister an Theatern oder Studium Kostümbild, Modedesign, Textiltechnik, Textildesign, Lehramt an berufsbildenden Schulen